Sixteen Moons - Eine unsterbliche Liebe
darin verteilt hatte, konnte ich sehen, dass sie sich Sorgen machte. Amma machte sich immer Sorgen um mich, und deswegen liebte ich sie, aber seit ich ihr das Medaillon gezeigt hatte, hatte sich etwas verändert. Ich ging um den Tisch herum und nahm sie in den Arm. Sie roch nach Bleistiftmine und Zimtpastillen wie immer.
Sie schüttelte den Kopf und brummte vor sich hin. »Ich will nichts mehr hören von grünen Augen und schwarzen Haaren. Sieht aus, als würden heute schwarzeWolken aufziehen, also nimm dich lieber in Acht.« Amma hatte nicht einfach nur dunkleVorahnungen, heute waren sie pechschwarz. Ich spürte ja selbst, dass düstereWolken aufzogen.
Link tauchte mit der Schrottkiste auf und wie üblich dröhnte schreckliche Musik aus den Lautsprechern. Als ich einstieg, drehte er die Musik leiser, und das verhieß nie etwas Gutes.
»Wir kriegen Ärger.«
»Ich weiß.«
»Jackson ist dabei, die Lynchjustiz wieder einzuführen.«
»Was weißt du darüber?«
»Es geht schon seit Freitagabend so. Ich hörte meine Mutter davon sprechen und wollte dich anrufen.Wo warst du überhaupt?«
»Ich hab so getan, als wollte ich ein verhextes Medaillon drüben in Greenbrier vergraben, damit mich Amma wieder ins Haus lässt.«
Link lachte.Wenn es um Amma ging, wunderte er sich nicht, wenn von Hexen und Zauberamuletten und dem bösen Blick die R ede war. »Wenigstens musstest du dir nicht wieder so einen stinkenden Beutel mit Zwiebeln um den Hals hängen, das war widerlich.«
»Es war Knoblauch. Bei der Beerdigung meiner Mutter.«
»Es war widerlich.«
Link und ich waren Freunde, seit er mir im Bus dieses Twinkie geschenkt hatte, und danach hatte er sich nie sonderlich darum geschert, was ich sagte oder tat. Schon damals wusste man, wer sein Freund war und wer nicht. So war es eben in Gatlin. Alles war schon vor zehn Jahren passiert. Und bei unseren Eltern war alles schon vor zwanzig oder dreißig Jahren passiert. Und was die Stadt anging, hier war schon vor hundert Jahren nichts mehr passiert. Jedenfalls nichts von Bedeutung.
Ich hatte eineVorahnung, dass sich das bald ändern würde.
Meine Mutter hätte gesagt, die Zeit ist reif.Wenn es etwas gab, was meine Mutter mochte, dann war es dieVeränderung. Ganz anders die Mutter von Link. Sie war eine Aufbauscherin, sie steigerte sich in alles hinein, sie hatte eine Mission, sie hatte Beziehungen – und das war eine gefährliche Kombination. Als wir in der achten Klasse waren, riss Mrs Lincoln die Steckdose aus derWand, weil sie Link dabei erwischt hatte, wie er sich einen Harry-Potter-Film ansah. Daraufhin startete sie einen Feldzug, um die Filme aus der Stadtbibliothek von Gatlin zu verbannen, weil sie glaubte, sie leisteten der HexereiVorschub. Zum Glück konnte sich Link zu Earl Petty hinüberschleichen und MTV anschauen, sonst wäre Who Shot Lincoln niemals die erste – und mit erste meine ich die einzige – R o ckband der Jackson High geworden.
Ich habe Mrs Lincoln niemals verstanden. Wäre meine Mutter noch am Leben, sie würde die Augen verdrehen und sagen: »Auch wenn Link dein bester Freund ist, erwarte bitte nicht von mir, dass ich in die TAR eintrete und R eifröcke trage, wenn sie die Schlachten des Bürgerkriegs nachspielen.« Und dann würden wir uns beide vor Lachen biegen bei derVorstellung, wie meine Mutter, die meilenweit über schlammige Schlachtfelder lief und alte Patronenhülsen suchte und sich mit der Gartenschere selbst die Haare schnitt, bei der TAR Kuchen verkaufte und jedem gute Ratschläge gab, wie er sein Haus dekorieren sollte.
Es war leicht, sich Mrs Lincoln bei der TAR vorzustellen. Sie war die Schriftführerin, sogar ich wusste das. Sie war zusammen mit den Müttern von Savannah Snow und Emily Asher imVorstand, während meine Mutter sich meistens in der Bibliothek verkroch und Mikrofiches las.
Gelesen hatte.
Link redete immer noch, aber ich hatte eigentlich schon genug gehört. »Meine Mutter, die Mütter von Emily und Savannah … sie haben in den letztenTagen dieTelefondrähte zum Glühen gebracht. Ich hab zufällig mit angehört, wie meine Mutter darüber gesprochen hat, wie in der Englischstunde das Fenster zerbrochen ist, und dass man sich erzählt, die Nichte vom alten Ravenwood habe Blut an den Händen gehabt.«
Er bog mit demWagen um die Ecke und redete immer noch ohne Punkt und Komma. »Und dass deine Freundin gerade aus einer Irrenanstalt in Virginia entlassen worden ist und dass sie eineWaise ist und dass sie
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