Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
dieser Erfolg durch den Gewinn Maltas und Gozos im selben Jahr. Zu diesem Zeitpunkt ruhte Robert Guiscard bereits seit sechs Jahren auf der Insel Zakynthos unter einem Grabstein, der ihn als „Schrecken der Welt“ pries. Für Roger, den neuen Herrn Siziliens, hatte dieser Tod Zugewinne an Rang und Handlungsspielräumen zur Folge. Gegenüber den Nachfolgern seines Bruders konnte er mit der Autorität des erfolgreichen Eroberers auftreten und durch politisches Geschick ein immer deutlicheres Übergewicht gewinnen – die alten Machtverhältnisse kehrten sich allmählich um. Dazu trug wesentlich bei, dass Roger, der Graf von Sizilien, in seinem Herrschaftsgebiet eine Machtstellung auszubilden begann, wie sie keiner seiner Verwandten auf dem italienischen Festland jemals innehatte. Eine der wichtigsten Grundlagen dieser inneren Stärke wiederum war die weitreichende Verfügungsgewalt des neuen Herrschers über die Kirche.
Sie hatte sich Roger durch seine weitsichtige Politik gegenüber dem Papsttum systematisch verdient. Vor allem dem 1088 gewählten Urban II., der zuvor als Abt von Cluny die Reform des Klerus vorangetrieben hatte, stand er in dessen innerkirchlichen wie politischen Kämpfen als wichtigster Bundesgenosse zur Seite. Dabei zielte Urban in konsequenter Fortsetzung der Bestrebungen |97| Gregors VII. vor allem darauf ab, die Einmischung weltlicher Herrscher in innerkirchliche Angelegenheiten, speziell die Ernennung von Bischöfen, zurückzudrängen. Es ermangelt daher nicht der Pikanterie, dass ausgerechnet der cluniazensische Reformpapst seinem Alliierten in Sizilien als Lohn für dessen Unterstützung die umfassendste Kirchenhoheit einräumte, die ein christlicher Herrscher jemals legal ausgeübt hat. In seiner Bulle vom 5. Juli 1098, einem der für die Geschichte der Insel folgenreichsten Dokumente überhaupt, wurde Roger die
legatio apostolica
verliehen. Legaten waren hohe Kleriker, die als Stellvertreter des Papstes mit dessen Vollmachten auf diplomatische Missionen entsandt wurden; in der Regel bestand ihre Aufgabe darin, mit diesen umfassenden Kompetenzen gravierende Konflikte vor Ort zu schlichten. Im Falle Rogers lagen die entscheidenden Unterschiede darin, dass dieser diese Vollgewalt unbefristet und zudem als Laie in seinem eigenen Herrschaftsgebiet ausübte – dem Ausbau einer Landeskirche, in welcher der Herrscher ungehinderten Zugriff auf die ökonomischen Ressourcen von Klöstern und Kirchen besaß und in eigener Regie Bischöfe ernannte, stand so nichts mehr im Wege. Kein Wunder, dass die Nachfolger Urbans II. dieses unerhörte Privileg außer Kraft zu setzen versuchten. Doch blieben ihre Versuche, die apostolische Legation als ein weisungsbedingtes und daher rückrufbares Mandat des Papsttums umzudeuten, letztlich erfolglos.
Dabei war die
legatio apostolica
aus der Sicht desjenigen, der sie verlieh, vor allem ein „Do ut des“ – der Papst machte ein großes Geschenk, um üppige Gegenleistungen zu empfangen. Konkret sollte der Graf von Sizilien zu einer Kirchenpolitik im Interesse des Heiligen Stuhls bewogen werden. Klöster und Klerus waren in Sizilien griechisch geprägt; mit der orthodoxen Kirche aber war es 1054 zum endgültigen Zerwürfnis und damit zur Spaltung gekommen. Rom musste daher auf eine konsequente Latinisierung des kirchlichen Lebens setzen. Diese betrieb schon Roger, doch mit Augenmaß, das heißt: zum Zweck der Machtsteigerung. Kirchliche Interessen waren unter ihm wie unter seinem Sohn und Nachfolger Roger II. konsequent den politischen Prioritäten untergeordnet, mochte der nominelle Lehensherr in Rom noch so sehr auf eine rigorose Bekämpfung der Schismatiker und der Ungläubigen drängen.
Für den Eroberer-Herrscher Roger bot die politische, religiöse und kulturelle Lage am Ende des 11. Jh. Risiken und Chancen zugleich. Das Hauptproblem bestand naturgemäß darin, die muslimischen Untertanen in den neu gegründeten Herrschaftsverband einzubinden und zugleich auf eine allmähliche Zurückdrängung des fremden Glaubens und der an ihm festhaltenden Führungsschicht einzuwirken. Das war eine schwierige Operation, die sich nur unter dem uneingeschränkten Primat der reinen Machträson, ohne jeden Bekehrungseifer, stattdessen |98| mit viel Pragmatismus, Fingerspitzengefühl und Bereitschaft zu mancherlei Kompromissen erfolgversprechend angehen ließ. Ähnliche Vorgaben empfahlen sich gegenüber den Äbten der großen griechischen Klöster. Beherzigte man diese
Weitere Kostenlose Bücher