Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Konflikt ging 1130 die Rangerhöhung Siziliens zum Königreich hervor. Zwar erkannte vorerst nur einer von zwei um die Würde des Vicarius Christi rivalisierenden Päpsten die neue Würde an, doch gelang es Roger II., dem ersten König von Sizilien, in vielen militärischen und diplomatischen Auseinandersetzungen diese neue Würde sowohl gegenüber Rom als auch dem römischen Kaiser durchzusetzen. Mit demselben Geschick beziehungsweise demselben Machiavellismus hatte er 1128 die Vereinigung Süditaliens und Siziliens unter seiner Herrschaft durchgesetzt und damit den jahrzehntelangen Rivalitäten innerhalb des Hauses Altavilla ein Ende bereitet. Damit hatte ein beispielloser Aufstieg den Gipfel erreicht: Aus normannischen Landadeligen waren Monarchen geworden, die Seite an Seite neben den altadeligen Staufern in Deutschland und den nicht minder vornehmen Valois in Frankreich und Plantagenet in England zu stehen beanspruchten. Machteroberung und Prestigegewinn aber verliefen keineswegs parallel. Die Herrscher der Christenheit mussten nolens volens die neue Normannenmonarchie in Sizilien als Machtfaktor ins Kalkül ziehen, krasse Parvenüs blieben die dortigen Könige in ihren Augen gleichwohl. Mit zwingender Logik setzte daher unter Roger II. eine Propaganda ein, die den Rang des neuen Königreichs und die Würde seiner Herrscher mit beispielloser Intensität und Großartigkeit vor Augen führen sollte.
Am sinnfälligsten ist diese wirkungsmächtige, die verschiedensten kulturellen Einflüsse und Traditionen bündelnde und steigernde Verherrlichung im wichtigsten Bauprojekt der Dynastie, der Palastkapelle (Capella Palatina) von Palermo, nachzuvollziehen. In offener Konkurrenz mit der Chapelle Royale von Paris sollte der zwischen 1131 und 1143 errichtete Sakralraum die Ressourcen und Wesenszüge seines Bauherrn widerspiegeln: Die kostbaren Materialien, die hier Verwendung fanden, zeigen seinen Reichtum, die antiken Spolien, die in das neue Bauwerk eingefügt wurden, das Alter und damit die Vornehmheit seiner Herrschaft, die von einem regelrechten Säulenwald zusätzlich hervorgehoben wird. Die künstlichen Stalaktiten der Holzdecke verkünden zusammen mit kufischen Schriftzeichen, dass sein Haus über die Araber triumphiert und diesen in der neu gegründeten christlichen Herrschaft ihren Platz zugewiesen hat. Die Glanzlichter der Verklärung setzen die kostbaren Mosaiken auf, die ihrerseits die griechischen Traditionen und damit ehrwürdigste kulturelle Wurzeln vorweisen. Unter dem Mosaik des Christus Pantokrator, des weltbeherrschenden Gottessohns aber stand der Thron des Königs, der damit eine vermittlerlose Ableitung seiner Macht aus dem Willen Gottes und damit der höchsten, allen |104| menschlichen Rivalitäten entrückten Souveränität in Anspruch nahm. Ähnliche Botschaften, die allesamt auf eine ganzheitliche, weltliche und kirchliche Hoheit durch göttliche Übertragung bündelnde Machtfülle hinauslaufen, verkünden der gleichfalls 1131 begonnene Dom von Cefalù und weitere Kirchen in der Hauptstadt Palermo.
|103| Die Palastkapelle von Palermo ließ Roger II. mit beispielloser Pracht ausstatten – viel Verherrlichung für einen König, dessen Großvater noch ein kleiner Landadeliger in Nordfrankreich war. Zudem steht der Thron des Monarchen unter dem Mosaik des Christus Pantokrator, von dem er seine unbeschränkte Machtfülle ableitet. Palermo, Capella Palatina.
|104| Wilhelm II. (1166–1189), der den Dom von Monreale so prunkvoll erbauen ließ, ging als „der Gute“ in die Geschichte ein – ein Zeichen dafür, dass sich die Machtverhältnisse auf der Insel zugunsten von Adel und Klerus zu verlagern begannen.
Solche Propaganda steigerte die faktische Macht des Königs virtuell ins schier Unermessliche; doch sehen lassen konnte sie sich auch ohne diese Überhöhung. Roger II. intensivierte nicht nur das vom Vater ererbte Patronagemonopol für alle wichtigen Ämter, sondern erhöhte seine Autorität durch regelmäßige Assisen, Gesetzgebungstage, auf denen der Wille des Herrschers die alleinige Richtschnur bildete. Er gestaltete darüber hinaus das Verwaltungssystem durch die Funktion des
baiulus
aus, der herrscherliche Anweisungen vor Ort umzusetzen |105| und die Zentrale mit den notwendigen Informationen von der Peripherie zu versorgen hatte. Für die Zeit ungewöhnlich effektiv war auch das Finanzsystem der normannischen Monarchie. Zum einen blieb der königliche Eigenbesitz, die
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