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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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Richtlinien, dann standen die Aussichten auf einen zugleich starken und dauerhaften Neuanfang jedoch günstig. Roger und seine Nachfolger waren durch keine verpflichtenden Traditionen eingeengt; ihrer Machtausübung standen keine Vorrechte von Eliten entgegen, die auf die Verbindlichkeit geheiligter Bräuche und die Unantastbarkeit gewachsener Machtstellungen verweisen konnten. Gewiss, Roger, der Eroberer, musste seine Gefolgsleute gebührend belohnen. Den normannischen Adel als neue, dem Herrscher durch bedingungslose Loyalität ergebene Führungsschicht zu etablieren, aber musste nicht heißen, dessen politische Führungsstellung wesentlich einzuschränken. Im Gegenteil: Die Kunst der politischen Neugründung unter Roger und seinem Sohn bestand darin, die Macht der Zentrale durch die geschickte Einbindung der neuen Elite in den Hof und in die verschiedenen Führungsämter zu vermehren. Möglich wurde dieses für die Zeitverhältnisse einzigartige Experiment dadurch, dass sich die Dynastie der Altavilla zu diesem Zweck virtuos der ganz unterschiedlichen Werte, Kulturen, Mentalitäten und Ideologien zu bedienen vermochte, die sich unter der griechischen und arabischen Herrschaft auf der Insel entwickelt hatten. Beide Traditionslinien liefen auf eine Stärkung der herrscherlichen Machtstellung hinaus – gegenüber dem Adel wie gegenüber der Kirche, den beiden Konkurrenten, die im mittelalterlichen Europa mäßigend (aus der Perspektive der Mitregierenden und Zwischeninstanzen betrachtet) beziehungsweise schwächend (von der Warte der Herrscher aus gesehen) auf die Ausbildung staatlicher Institutionen und Zwangsmittel einwirkten. Ungeahnte Möglichkeiten schließlich bot die Anknüpfung an die griechische und arabische Vorgeschichte Siziliens in Sachen Propaganda: Bauten und Bilder ließen sich durch Aufnahme und Weiterentwicklung entsprechender Vorbilder zu einer Verherrlichung der Dynastie und der Mächtigen benutzen, die nicht nur in den Augen konservativ gesinnter Zeitgenossen die Grenzen zum Personenkult und damit zur Selbstüberhebung und Selbstüberschätzung überschritt.
    Unter all diesen Blickwinkeln war Roger, der Graf von Sizilien, der Initiator und sein Sohn, Roger II., der Vollender. Gemäß den aus der Normandie mitgebrachten Vorstellungen, wie es Herrschaft zu organisieren galt, bildete die Verleihung von Land nebst damit verknüpften Nutzungs- und Herrschaftsrechten das Maß aller Dinge. Die Vergabe solcher Territorien allein begründete ein Loyalitäts- beziehungsweise Abhängigkeitsverhältnis, das wechselseitige Pflichten wie Schutz, Gunst und Dienste bedingte. Im Vergleich mit der mitteleuropäischen |99| Praxis aber gaben die beiden ersten Altavilla-Herrscher bei dieser Austeilung von Grund und Boden weitaus weniger aus der Hand und sicherten sich stattdessen eine sehr viel stärkere Position. Zudem war die Weiterverleihung von Ländereien genehmigungspflichtig, das heißt, einflussreiche Adelige konnten sich nur mit Zustimmung der Zentrale eigene Vasallen und damit ihnen ergebenen Anhang verschaffen. Auch in ökonomischer Hinsicht blieb die Kontrolle solcher Lehen rigoros; bei Hof wusste man jederzeit sehr genau, wie viele Hintersassen, das heißt abhängige Bauern, zu welchem
feudum
gehörten und welche Lasten diesen aufgebürdet waren. Noch entscheidender dafür, dass dieses frühe normannische „Lehenssystem“ eine im Zeitvergleich einzig dastehende herrscherliche Machtfülle förderte, war die strikte Aufsicht über die Verwaltungspositionen und -funktionen, die mit dem Erhalt von Land verbunden waren. Diese waren zum einen hierarchisch geschichtet; zum anderen behielt sich der Herrscher zumindest auf oberer Ebene die Zustimmung beziehungsweise die Kompetenzen vor, nicht zuletzt bei der Blutgerichtsbarkeit. Seinem Verständnis nach waren die Lehensnehmer Amtsträger, die seine eigene, jederzeit wieder entziehbare Macht in seinem Namen und als seine Stellvertreter ausübten. Dementsprechend konnten weder Lehen noch Herrschaftsaufgaben erblich werden.
    Und zwar umso weniger, als das ausschlaggebende Kriterium für die Zugehörigkeit zur tonangebenden Schicht das Vertrauen bildete, das sich durch gute Dienste und dadurch erwiesene Loyalität entwickelt hatte. Bei der Auswahl ihrer Klienten waren die beiden Roger nicht völlig frei, doch in vieler Hinsicht ungebundener als andere Herrscher der Zeit. Auch sie mussten gewiss auf vorhandene Rangabstufungen und damit verknüpfte Ansprüche

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