Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
war. Ganz freiwillig ging diese Arbeitsteilung unter Brüdern allerdings nicht vonstatten. Roger war ebenfalls |95| – fasst man die Eindrücke der Zeitgenossen, speziell seiner künftigen sizilianischen Untertanen, zusammen – eine ungewöhnlich starke Persönlichkeit mit ausgeprägtem Willen zur Macht und daher nicht gesonnen, längere Zeit im Schatten eines anderen zu stehen. Durch eigene militärische Eroberungen in Süditalien konnte er schon in den 1060er Jahren – trotz fortbestehender nomineller Oberhoheit Robert Guiscards – Mitregierungsansprüche durchsetzen; diese drückten sich auch in seinem von jetzt an gebräuchlichen Titel eines Grafen von Sizilien aus, der als solcher gleichwohl seinem Bruder, dem Herzog der Insel, unterstand.
Den ersten Schritt zur Gewinnung Siziliens unternahm Roger im Jahre 1060, doch glückte die Eroberung Messinas, die aus logistischen Gründen am Anfang stehen musste, erst im dritten Versuch ein Jahr darauf. Bei dieser Brückenkopfbildung hatte die Normannen die dynastische und territoriale Zersplitterung der muslimischen Herrschaft in drei verschiedene, untereinander verfeindete Emirate begünstigt. Ja, Roger war von einem der Teilherrscher sogar ausdrücklich zum Angriff ermuntert worden. Obwohl diese muslimischen Fürsten auch in der Folgezeit nur wenig Unterstützung von anderen arabischen Machthabern erhielten, gestaltete sich die normannische Eroberung in der Folgezeit schwierig. Dazu trug die fortdauernde Rivalität zwischen Roger und Robert Guiscard, die sich zeitweise zu regelrechten militärischen Fehden steigerte, wesentlich bei. Am Ende dauerte es drei Jahrzehnte, bis die Rückgewinnung der Insel als abgeschlossen gelten durfte.
1063 fiel nach der siegreichen Schlacht von Cerami das gesamte Val Demone und damit der östliche Teil Siziliens unter normannische Herrschaft. Die als Nächstes ins Auge gefasste Belagerung Palermos musste von den beiden Brüdern 1064 abgebrochen werden; entsprechend sorgfältig und von langer Hand wurde – bezeichnend für das planvolle Vorgehen der Altavilla, die aus Misserfolgen lernten – der zweite Waffengang vorbereitet. Nach der Eroberung Baris im Frühjahr 1071 waren für einen kombinierten Zangenangriff von der Land- und Meerseite genügend Truppen, vor allem zu Wasser, dafür verfügbar. Auf dem Weg von Messina nach Palermo wurde im Juli 1071 zuerst Catania durch eine überraschende Attacke erobert und Palermo danach eingeschlossen. Nach Zurückschlagung einer zur Unterstützung der belagerten Stadt entsandten Flotte und längerer Aushungerung begann unter der gemeinsamen Führung Robert Guiscards und Rogers der erbitterte Straßenkampf, in dem die Normannen Stadtteil auf Stadtteil eroberten. Doch waren die beiden klug genug, rechtzeitig innezuhalten und das Waffenstillstandsangebot der Verteidiger anzunehmen. Diese verpflichteten sich als Gegenleistung dafür, dass die neuen Herren den |96| Koran als Gesetzbuch für ihre muslimischen Untertanen respektierten, die neuen Machtverhältnisse, das heißt die Oberhoheit eines normannischen Gouverneurs, anzuerkennen. So kam es zu wenig mehr als zu einem Austausch der obersten Machtebene; im Alltag änderte sich für die Besiegten vorerst kaum etwas.
Dieser gleitende Übergang war nicht zuletzt im Interesse der siegreichen Brüder, die intensiv damit beschäftigt waren, ihre jeweiligen Machtbereiche auf der Insel wie auf dem Festland abzustecken, und zwar weiterhin unter der Vorrangstellung des Älteren. In einem waren sich beide, ungeachtet aller Rivalitäten, gleichwohl einig: Die feierlichen Lehensbestätigungen der Päpste betrachteten sie als nützliche Legitimation nach außen, gegenüber den übrigen christlichen Monarchen. Nach ihrer eigenen, auf normannischer Tradition beruhenden Auffassung aber gehörte ihnen die Insel durch das Recht der bewaffneten Eroberung als erblicher Besitz für alle Zeit. Diesen mit anderen, und seien es die Stellvertreter Christi auf Erden, zu teilen, waren sie nicht gesonnen. Schwere Konflikte mit Rom, aber auch mit einheimischen Adelsfamilien waren so vorprogrammiert.
Von Militärzügen Rogers nach Süditalien immer wieder unterbrochen und verzögert, schritt die Eroberung Siziliens dennoch unaufhaltsam voran: 1077 fiel Trapani, 1079 Taormina, 1086 Syrakus, 1087 Agrigent. Kurz darauf ergab sich die Schlüsselfestung Enna im Inneren der Insel, 1091 folgte Noto, das letzte Refugium der arabischen Führungsschicht, nach. Abgerundet wurde
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