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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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achten, doch konnten sie als unbestrittene Patrone der höfischen Gesellschaft in sehr viel stärkerem Maß neue Männer an ihre Seite berufen und die Elite als Schiedsrichter über Reputation und Autorität sortieren. Dabei kam als wesentliches Merkmal neben der Loyalität die ethnische und religiöse Zugehörigkeit ins Spiel. Neben normannischen Gefolgsleuten fanden so griechische Kleriker und Adelige, doch in einem bestimmten Maße auch Vertreter der muslimischen Führungsschicht ihren Platz im Gefüge des Hofes. Dass dieser breiten Streuung der Repräsentation Vorstellungen von religiöser Toleranz zugrunde gelegen hätten, ist ebenso ein Mythos des 20. Jh. wie die Auffassung, dass es den beiden ersten normannischen Herrschern um die Ausbildung starker, das heißt: weit in die Moderne vorausweisender Staatlichkeit gegangen sei. Von beidem gab es damals keinen Begriff, weil dafür die kulturellen und mentalen Grundlagen völlig fehlten – sowohl das Konzept eines von der Person des Herrschers abgelösten bürokratisch-anonymen Verwaltungsapparates als auch die Idee der Gleichwertigkeit religiöser Bekenntnisse |100| bilden sich vollständig erst im 18. Jh. heraus. Dass sich Sizilien bis zur Mitte des 12. Jh. als Machtgebilde
sui generis
, unverwechselbar eigener Art, präsentierte, ist ausschließlich darauf zurückzuführen, dass hier zwei Herrscher in der aus dem Rahmen fallenden Situation des Neuanfangs nach militärischer Eroberung ungewöhnliche Voraussetzungen zur Ausweitung ihrer persönlichen Handlungschancen mit einer für die Zeit seltenen Konsequenz optimal zu nutzen vermochten. Zu diesem Zweck waren sie bereit, der militärisch und ökonomisch weiterhin bedeutsamen arabischen Minderheit zwar nicht zivile oder gar politische Gleichberechtigung – auch dies Vorstellungen einer sehr viel späteren Zeit –, wohl aber unter herrscherlicher Aufsicht eine Selbstverwaltung einzuräumen, die einer faktischen Duldung fremder Lebenswelten auf Zeit gleichkam. Nicht „multikulturelle“ Verschmelzung im Alltag, sondern im Gegenteil: weitgehende Separierung im Zeichen von Sondergesetzen für religiöse Minoritäten kennzeichnete das Zusammenleben von Ethnien und Bekenntnissen, das in Wirklichkeit eher ein oft ziemlich verbindungsloses Nebeneinander-her-Leben war. Diese Distanz spiegeln auch die Zeugnisse wider, aus denen sich die Wahrnehmung der jeweiligen Gegenwelt ermitteln lässt. Dabei ist die arabische Blickrichtung zum einen von der Hoffnung auf Rückeroberung der „blühenden Insel“, die nostalgische Einfärbung der guten alten Zeit und durch die Verachtung der christlichen Barbaren geprägt – eine Stereotypenbildung, die nur ausnahmsweise bei der Schilderung herausragender Persönlichkeiten wie der Rogers II. durchbrochen wurde.
    Nach dem Tod Rogers, des ersten Grafen von Sizilien, im Juni 1101 und der klugen Regentschaft seiner Witwe Adelasia trat 1112 sein siebzehnjähriger Sohn Roger die Regierung an. Bescheinigten die kirchlichen Chronisten seinem Vater, das Gleichgewicht zwischen christlicher Milde und unverzichtbarer Wahrung seiner Autorität, bei aller Neigung zur Machtsteigerung, im Großen und Ganzen bewahrt zu haben, so zeichneten nicht wenige von ihnen seinen Sohn mit unheimlichen, ja dämonischen Zügen: ohne Skrupel, wenn nicht gar ohne Gewissen, diabolisch beschlagen in allen Künsten der Intrige, unbedenklich im Wortbruch, wenn es seinen Interessen nützte, den Genüssen des Wohllebens und vor allem der Macht stärker ergeben, als es der Seele eines Christenmenschen guttat, summa summarum als einen Despoten mit geradezu orientalischen Zügen. Dazu trug bei, dass Roger II. nicht nur des Lateinischen und Griechischen, sondern auch des Arabischen mächtig und in der verfeinerten Kultur der ehemaligen Inselherren bewandert war. Darüber hinaus griff der zweite Normannenherrscher bedenkenlos in die inneren Angelegenheiten der Kirche ein, in deren Spitzenpositionen er seine ihm treu ergebenen Gefolgsleute, auch solche niedrigerer Abkunft, |102| platzierte. Zudem scheute er sich nicht, gegen den Papst, seinen Lehensherrn, Krieg zu führen, wenn er es für seine Interessen dienlich hielt.

    |101|  Zwischen Roger II., dem ersten König von Sizilien (1130–1154), und Christus steht kein Volk, kein Adel, kein Papst. Der Monarch erhält vom Gottessohn selbst die Krone, ihm allein schuldet er Rechenschaft. Palermo, Santa Maria dell’Ammiraglio, genannt La Martorana.
    |102| Aus einem solchen

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