Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
sie gediehen waren, ist unsicher –, wurde den aristokratischen Fädenziehern die Entscheidung am Ostermontag 1282 aus der Hand genommen. Aus einem Handgemenge im Anschluss an Waffenkontrollen vor den Toren von Palermo entzündete sich binnen weniger Stunden ein regelrechter Flächenbrand – in Stadt und Land machte der entfesselte Mob Jagd auf alles, was Französisch sprach, selbst hinter Klostermauern waren die verhassten Fremden vor der Lynchjustiz nicht geschützt. Erst allmählich ließ sich diese eruptive Entladung von Wut, Hass und Zorn in politische |117| Ziele und Strategien umsetzen. Bezeichnenderweise votierten die meisten Städte und Dörfer für die einfachste Lösung: Autonomie unter Führung lokaler Honoratioren. Doch eine kommunale Bewegung wie in Nord- und Mittelitalien entwickelte sich daraus auch jetzt nicht, dazu fehlte es an einer einheimischen Führungsschicht reicher Bankiers- und Großhändlerfamilien. So genehm dem Adel eine solche Abschließung gegen außen an sich auch war, mit bloßer Fragmentierung und Abschaffung jeglicher Zentralgewalt konnte die politische Neuordnung nicht ihr Bewenden haben. So wurde jetzt, da die blutige Arbeit bereits getan war, die aragonesische Karte ausgespielt: Anfang September 1281 wurde Peter I. von Aragón zum König von Sizilien ausgerufen. Die Insel hatte sich einen Monarchen und einen Hof zurückgeholt, doch zu einem hohen Preis.
Die Vertreibung der Anjou und ihrer Anhänger aus Sizilien während der „Sizilianischen Vesper“ im Jahre 1282 wurde für den Nationalismus der Neuzeit zu einem Standardargument gegen die „bösen Franzosen“ – hier richtet es sich gegen Ludwig XIV. und seine Kriege in Deutschland. Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä.
|118| Durch die „Sizilianische Vesper“, wie das Massaker an den Franzosen zweihundert Jahre später verklärend genannt wurde, waren die seit jeher engen Beziehungen zum Festland jäh unterbrochen worden. Diese Abschnürung hatte große Folgen für Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und Kirche. Die Adelsclans von der Insel waren seit Menschengedenken eng mit der Elite Kalabriens verflochten gewesen, eine Interessenunion, die jetzt durch die Zugehörigkeit zu zwei feindlichen Herrschaftsräumen aufs empfindlichste gestört wurde. Zu einer Trennlinie wurde die Straße von Messina auch für den Warenaustausch und die akademische Bildung – die Universitäten von Neapel und Salerno waren jetzt, von Sizilien aus betrachtet, nah und unerreichbar zugleich. Darüber hinaus mussten die guten Christen der Insel um ihr Seelenheil fürchten. Das Papsttum war mit dem Sturz der Anjou, seiner Protégés, mit getroffen worden und reagierte entsprechend gereizt. Martin V., auch er gebürtiger Franzose, bannte nicht nur den neuen König der Insel, sondern verhängte über die Insel sogar das Interdikt, womit jegliches kirchliche Leben zum Erliegen kommen sollte. Auch wenn diese Sperre keineswegs allgemein respektiert wurde, sondern trotz päpstlichen Verbots die Sakramente weiter gespendet und die Gottesdienste gefeiert wurden, hing der Verdacht der Illegitimität und des Heilsverlusts über der offiziell von der Gemeinschaft der Christen ausgeschlossenen Insel. Das waren keine guten Voraussetzungen für eine neue Blütezeit.
Sizilien blieb zwar weiterhin formell ein unabhängiges Königreich, doch wurde das 14. Jh. für die Insel zu einem eisernen Zeitalter, und zwar aus einer Verbindung gesamteuropäischer bzw. gesamtitalienischer und regionaler Faktoren heraus. In den 1330er Jahren brach der säkulare Wirtschaftsaufschwung, der zu Bevölkerungswachstum und neuem Reichtum geführt hatte, plötzlich ab; an die Stelle der Boomkonjunktur traten Hungersnöte, Geldknappheit, Firmenzusammenbrüche und Arbeitslosigkeit. Doch diese Krise, die den gesamten Mittelmeerraum erfasste, war nur das Vorspiel einer viel größeren Katastrophe. 1347 starben im Hafen von Messina Seeleute eines Schiffs, das Waren vom Schwarzen Meer auf die Insel transportiert hatte, an einer ebenso unbekannten wie unheimlichen Krankheit: der Beulenpest. In wenigen Jahren verbreitete sich die Seuche über den Kontinent, wo sie im Durchschnitt ein Drittel der Bevölkerung das Leben kostete. Sizilien war – auch wenn die Mythen von einem goldenen Zeitalter unter arabischer Herrschaft das Gegenteil behaupteten – immer relativ dünn besiedelt gewesen; der Blutzoll der Pest traf die Insel daher besonders schwer und hatte zahlreiche
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