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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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Wüstungen, das heißt die Aufgabe von Siedlungen und das Brachliegen ausgedehnter landwirtschaftlicher Nutzflächen zur Folge. So unterschiedslos ganz Italien von der Epidemie heimgesucht wurde, so verschieden |119| gestalteten sich deren Folgen in sozialer und politischer Hinsicht. Hatte das Massensterben in Städten wie Florenz den Aufstieg neuer Familien, also eine gewisse – von der alten Elite mit Misstrauen beobachtete und entsprechend bekämpfte – Mobilität zur Folge, so profitierte in Sizilien ganz überwiegend der – durch einzelne Neuaufsteiger ergänzte – Adel von der Krise. Zum einen beschleunigten der Bevölkerungsverlust und die damit einhergehende Verödung ländlicher Siedlungsräume die Übersiedlung der Führungsschicht in die Städte, wo sie ihre Machtposition ausbaute und repräsentative Residenzen errichtete. Zum anderen stärkte sie durch befestigte Stützpunkte ihre Herrschaftsstellung auf dem Land und dadurch auch ihre ökonomische Basis. So nahm die Abhängigkeit der ländlichen Bevölkerung von den adeligen Herren stetig zu.
    Diese konnten ihren Besitz auf dreierlei Art und Weise nutzen. Wenn sie ihren Grund und Boden durch bezahltes Personal vom Aufseher bis zu den Tagelöhnern auf eigene Rechnung bearbeiten ließen, mussten sie nicht nur vertrauenswürdige Verwalter anstellen, sondern auch selbst Zeit investieren und Basiswissen mitbringen. Bequemer war es da schon, ausgedehntere Güterkomplexe einem Generalpächter (
gabelloto
) zu übertragen, der eine jährliche Pauschalsumme zu zahlen hatte und den Mehrertrag als Gewinn einsteckte. Als Alternative dazu bot es sich an, den Boden in kleinere Parzellen aufzuteilen und an bäuerliche „Vasallen“ zu vergeben, die dafür einen beträchtlichen Teil ihrer Ernte als „Lehensabgabe“ (
terraggio
) an den Herrn abtreten mussten. Lohnte sich die Eigenbewirtschaftung vor allem, wenn Wein angebaut oder Vieh geweidet wurde, so gestaltete sich das
terraggio -System
vor allem für die Getreidekultur lukrativ. Und noch zwei Vorteile hatte es, bäuerliche Vasallen auf adeligem Grund und Boden anzusiedeln: Wer über eine ländliche Gemeinde als Lehensherr gebot, erhielt Sitz und Stimme im sogenannten Parlament, in dem die führenden aristokratischen Sippen mit dem Landesherrn über Steuern und andere Gesetzesvorhaben berieten und verhandelten. In dieser Interessenvertretung des heimischen Adels aus eigenem Recht mitzuwirken, war nicht nur eine Sache des Prestiges, sondern auch der elementaren Wahrung von Einfluss und Interessen.
    Zudem gewann die solcherart begüterte Aristokratie in ihren Lehen immer mehr Rechte und Kompetenzen, die vorher Vorrecht der Krone gewesen waren. Ja, der Ausverkauf dieser Prärogativen vollzog sich jetzt geradezu schwindelerregend schnell: Ob ehemals königliche Festungen, Wegzölle, Wälder, Gewässer oder Fischereirechte – alle diese Einnahmequellen gingen nach und nach in die Hände der großen Adelsclans über. Und auch das krönende Schlussstück, die Hochgerichtsbarkeit, wurde schon im Laufe des 14. Jh. in das immer fester stehende Konstrukt des Feudalismus eingefügt – die „Barone“ waren jetzt Herren |120| über Leib und Leben ihrer Vasallen, sprachen also im Konfliktfall in eigener Sache Recht. Dass die ursprünglich auf Lebenszeit verliehenen Lehen nicht nur erblich geworden waren, sondern auch an Nebenlinien der Familie vermacht werden konnten, rundete diese Machtstellung ab. Die stolze Monarchie der Normannen – unter Roger II. wahrscheinlich das effizienteste und ressourcenreichste politische System Europas – war in zwei Jahrhunderten zum Spielball der Feudalaristokratie geworden. Das zeigte sich sogar auf der obersten politischen Ebene.
    Enttäuschung über den neuen König aus der aragonesischen Dynastie stellte sich schnell, gründlich und vorhersehbar ein – kein Herrscher, der mehr als dem Namen nach regieren wollte, konnte den bei seiner Krönung geleisteten Eid befolgen, sämtliche Besitzstände und Privilegien auf der Insel zu bewahren. So erhob auch Peter von Aragón neue Abgaben und stattete seine Anhänger auf Kosten der etablierten Elite mit Lehen aus, und zwar so reichlich, dass die „Katalanen“ wie vorher die „Franzosen“ zum gängigen Feindbild wurden. Da auch die Bestimmung, dass bei seinem Tod die Kronen von Aragón und Sizilien getrennt werden sollten, keine Berücksichtigung fand, standen die Sizilianer 1295 vor wenig verlockenden Alternativen. Entweder wurde ihre

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