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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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erwirtschaften sollten; neben Einheimischen wurden auch Familien angesiedelt, die vor der osmanischen |140| Expansion in Osteuropa geflohen waren, vor allem Albaner (deren Name sich in Ortsnamen wie Piana degli Albanesi bis heute erhalten hat). Um den erwünschten Ertrag zu erbringen, brauchten sie Grund und Boden, und dieses Land erhielten sie zweifach: zum einen eine in der Regel schmale Parzelle in Dauerpacht (
enfiteusi
), die sich für den Eigenbedarf nutzen ließ, und zum anderen das eigentliche „Lehen“, das zum Getreideanbau bestimmt war. Dafür wurde eine vertraglich minutiös geregelte Naturalabgabe (
terraggio
) festgesetzt, die sich bei mancherlei Unterschieden im Einzelnen im Durchschnitt auf einen Zentner Weizen für 0,4 ha Nutzfläche belief; je nach Ernteausfall konnte dieses Quantum ein Viertel bis mehr als die Hälfte des Gesamtertrags bilden. Doch diese Gefälle machten keineswegs die gesamten Einnahmen des Feudalherrn aus. Lukrativ gestalteten sich darüber hinaus, neben den Nutzungsgebühren für die öffentlichen Bauten, die sogenannten
anticipi e soccorsi
(„Vorschüsse und Hilfen“). So streckte der Baron häufig das für die Aussaat im nachfolgenden Jahr benötigte Getreide vor und sprang bei Engpässen seiner „Vasallen“ mit Geldzahlungen ein. Doch das waren keine Gratis-Akte patriarchalischer Nächstenliebe, sondern Kredite, die sich der Feudalherr meistens teuer bezahlen ließ. Durch diesen feudalen Wucher geriet die ländliche Bevölkerung, ohnehin der Rechtsprechung des adeligen „Kolonisators“ unterworfen, vollends in Abhängigkeit. Formen ländlicher Selbstverwaltung konnten sich so nicht entfalten.
    Verschuldung, Unselbständigkeit, fehlende Anreize für Innovationen: Das war die negative Seite des Feudalsystems, das im Val di Mazara und im Val di Noto, das heißt in den westlichen und zentralen Gebieten der Insel, ältere Formen der Bewirtschaftung, nicht zuletzt bäuerlichen Kleinbesitz auf der Grundlage von Geldzins, fast vollständig verdrängte; allein im Val Demone, vor allem in der Gegend von Messina, vermochte sich diese „masseritia“ zu behaupten. Von der Warte des Adels aus betrachtet, stachen hingegen überwiegend Vorteile ins Auge. So hatten sich nach den Bevölkerungsverlusten der Vergangenheit, die sich im Verschwinden von 470 vormals bewohnten Ortschaften niederschlugen, innerhalb der alten, ab der normannischen Eroberungszeit kaum je verschobenen Lehensgrenzen immer ausgedehntere und zusammenhängende Produktionsflächen bilden lassen, und zwar ohne nennenswerten Widerstand von unten. Auf diese Weise konnten die reichsten Feudalherren ein Drittel und mehr der gesamten Getreideerzeugung an sich ziehen, und das hieß: vermarkten. Fast die Hälfte dieser Erträge nämlich war zum Export bestimmt – bei steigender Nachfrage im Mittelmeerraum ein einträgliches Geschäft, von dem viele Seiten profitierten, nicht zuletzt die Krone. Wie überall vor den Liberalisierungsmaßnahmen des späten 18. Jh. waren Kornausfuhren genehmigungs- und |141| damit gebührenpflichtig. Ausfuhrlizenzen (
tratte
) zu erteilen, war sogar ein Vorrecht der höchsten politischen Gewalt. Dieses Privileg aber ließ sich nicht nur finanziell, sondern auch politisch nutzen, vor allem ab dem letzten Viertel des 16. Jh., als die Nahrungsmittelproduktion immer weniger mit dem Bevölkerungsanstieg Schritt zu halten vermochte und Versorgungsengpässe daher immer häufiger wurden. Speziell im Verhältnis Spaniens zum Papsttum wurde sizilianischer Weizen zum Lock- und Druckmittel: Dringend benötigte Importe ließen sich gewähren oder sistieren, je nach Bereitschaft des Pontifex maximus oder auch der im Konklave versammelten Kardinäle, die Wünsche des katholischen Königs in Madrid zu berücksichtigen oder nicht.
    Über den reinen Geldertrag hinaus wurde die Neugründung ländlicher Städte („Dörfer“, das heißt Siedlungen unter 1000 Einwohnern, hat es in Sizilien kaum je gegeben) für die hohe Aristokratie zu einer Sache des Prestiges, zum einen des damit verknüpften Sitzes im Parlament wegen, zum anderen als Bühne der Selbstdarstellung. Welche propagandistischen Möglichkeiten darin schlummerten, als Stadtgründer und damit in der Rolle illustrer Herrscher der Antike aufzutreten, entdeckte der sizilianische Adel im Laufe des 17. und 18. Jh. Herrschaft, Hoheit, Vornehmheit und Exklusivität ließen sich durch immer prunkvollere Baronalpaläste dokumentieren, in deren Schutz und

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