Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Schatten die Siedlung der „Vasallen“ lag, sowie durch prunkvolle Kirchenbauten, über die der „Kolonisator“ selbstverständliche Patronatsrechte ausübte. In dieser Kirchenhoheit sahen sie sich umso mehr bestätigt, als der spanische Vizekönig gegen alle Widerstände der Kurie die
legatio apostolica
von 1098 und damit das Besetzungsrecht für die geistlichen Führungspositionen auf der Insel weitgehend erfolgreich verteidigte. Zumindest in diesem Streben, den Einfluss Roms auf Klerus und Kirche so weit wie möglich zurückzudrängen, waren sich einheimischer Adel und fremder Statthalter einig. Doch waren die prächtigen neuen Residenzen auf dem Land immer seltener durchgehend bewohnt; mehr denn je zog der Adel in die Städte, wo er ebenfalls mit nie gekanntem Aufwand Paläste baute. Vor allem Palermo wandelte sich so ab der zweiten Hälfte des 16. Jh. zu einer modernen, barock geprägten Metropole. Dazu trugen auch die Vizekönige ihren Teil bei, die mit der Via Toledo und der Via Maqueda zwei Prachtstraßen im neuesten, stark von römischen Vorbildern geprägten Stil anlegen ließen.
Da der Feudalismus das Leben aller sozialen Schichten prägte, verdichtete sich die historische Entwicklung der Insel in der Geschichte ihrer großen Adelsgeschlechter. Eine solche „Zeugenfamilie“, die Kontinuität im Großen und Wandel im Kleinen – das Leitmotiv der sizilianischen Geschichte schlechthin – aufzeigt, sind die Tomasi di Lampedusa, deren Name durch den Roman „Der |142| Leopard“ zu literarischem Weltruhm und durch die Roman-Verfilmung Luchino Viscontis zu Weltberühmtheit gelangt ist. Obwohl vor-normannischen Ursprungs und in Süd- wie Mittelitalien mit führenden Geschlechtern verschwägert, spielten die Tomasi vor dem 16. Jh. auf der Insel keine prominente Rolle. Zum dortigen Statusbegründer wurde der 1558 geborene Mario Tomasi, und zwar mit für die Zeit bezeichnenden Methoden: Er heiratete in zweiter Ehe Francesca Caro, Baronin von Montechiaro und Herrin der kleinen Insel Lampedusa. Die Familie Caro hatte diese Titel und den dazugehörigen riesigen Landbesitz am Anfang des 15. Jh. erworben, und zwar ebenfalls auf sehr epochentypische Weise: Montechiaro hieß vorher Chiaramonte und gehörte dem gleichnamigen Hochadelsclan, der wegen seiner Rebellion gegen die Krone enteignet wurde. Nach dessen Untergang gingen die Lehen an die neuen Herren aus der loyalen Familie Caro über. Doch damit nicht genug: Um die Erinnerung |143| an die als Verräter gebrandmarkten alten Besitzer auszulöschen, musste selbst der Name ihres Stammsitzes getilgt werden, wobei man es allerdings bei einer simplen Verschiebung von „Berg“ (
monte
) und „hell“ (
chiaro
) bewenden ließ.
|142| Auf der Piazza Pretoria von Palermo stellt sich die spanische Herrschaft über Sizilien eindrucksvoll zur Schau. Seinen Namen erhielt der Platz vom Gerichtsgebäude, von dem eine majestätische Treppe zur Prachtstraße der Via Maqueda herabführt.
|143| Dass Mario Tomasi durch Heirat das Erbe der Caro und damit der Chiaramonte zufiel, verdankte er nicht zuletzt der Förderung durch den Vizekönig Marcantonio Colonna. Auch in der nächsten Generation heiratete der männliche Stammhalter in den reichen Hochadel der Insel ein. Die aus dieser Ehe 1614 hervorgegangenen Zwillinge Carlo Luca und Giulio Vincenzo nutzten die Chancen, die sich zu weiterem Aufstieg bis in die Spitze der sizilianischen Aristokratie boten, konsequent aus. 1637 gewährte ihnen König Philipp IV. von Spanien die
licentia populandi
zur Gründung der neuen Stadt Palma, nach der Nähe zum umgetauften Kastell „di Montechiaro“ genannt; schon im Jahr darauf folgte der Herzogtitel für diese Kolonie nach. Mit ihrem schachbrettartigen Grundriss und ihrer prachtvoll ausgeschmückten Domkirche versinnbildlicht die Stadt der Tomasi den Rang ihrer adeligen Urheber und Herren bis heute eindrucksvoll. Auf ganz andere, aber ebenfalls standestypische Weise erwarb einer der beiden Zwillings-Gründer, Carlo Luca, für sich und seine Familie weiteres Prestige. Er trat in den strengen Reformorden der Theatiner ein, wirkte ab 1655 als unermüdlicher Seelsorger in Rom, verfasste zahlreiche fromme Schriften sowie theologische Traktate und wurde in Anerkennung seiner Verdienste nach seinem Tod zum „servus Dei“ (eine Vorstufe zur Heiligsprechung) erhoben. Ins Gedächtnis der Sizilianer aber grub sich sein Bruder Giulio Vincenzo, der „heilige Herzog“, ein, und zwar durch
Weitere Kostenlose Bücher