Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
seine frommen Stiftungen vor Ort und seinen weltflüchtig-asketischen Lebenswandel, den er streng zurückgezogen in seinem Palast pflegte. Giulios Sohn Giuseppe Maria (1649 –1713) klomm auf beiden Stufen, denen der kirchlichen Laufbahn und der Heiligkeit, schließlich mit Abstand am weitesten empor; er starb als Kardinal und wurde nach seinem Tod formell kanonisiert. Und auch sein Bruder Ferdinando ging als „heiliger Fürst“ in die Erinnerung ein – 1667 war Lampedusa zum Fürstentum erhoben worden und damit Haupttitel der Sippe. Neben der generationenübergreifenden Reihe frommer Herzöge bzw. Fürsten brachte die Familie mindestens ebenso viele machtbewusste Politiker und Diplomaten hervor, darunter – auf der Insel kaum weniger prestigeträchtig – auch legendäre Wüstlinge und Bösewichte. Ihrer aller ökonomische Basis war das Korn. Wie andere profitbewusste Sippen auch setzten die Tomasi jedoch nicht allein auf das
terraggio -System
, sondern zusätzlich auf alternative Anbau- und Abgabensysteme. Wein- und Gemüsekulturen auf der Basis von Geldzins und Formen der Eigenbewirtschaftung erwiesen sich zunehmend als renditeträchtig. Doch eine solche Diversifizierung setzte Initiative |144| und Aufsicht voraus. Bequemer war es, die Erträge ganzer Lehen en bloc an Pachtunternehmer zu vergeben, die dafür feste Jahressummen schuldeten. Mit ihnen wuchs allmählich eine Sekundärelite heran, die immer begehrlichere Blicke auf Rang und Besitzungen der nicht selten als Folge städtischen Aufwands verschuldeten Adelsfamilien zu werfen begann.
Palma di Montechiaro ist eine Gründung der Adelsfamilie Tomasi di Lampedusa, die ihre im 17. Jahrhundert legendäre Frömmigkeit in vielen prachtvollen Kloster- und Kirchenbauten (hier die Chiesa Madre) vor Augen führte.
|145| XIV Aufstände auf Sizilianisch
Das in weiten Teilen Europas krisengeschüttelte 17. Jh. war zumindest für den sizilianischen Adel, ungeachtet regelmäßiger Pestepidemien und steigender Abgaben zur Finanzierung der Habsburger im Dreißigjährigen Krieg, keine tragische, sondern eine glanzvolle Zeit. Ähnlich wie Amsterdam, die Handelsdrehscheibe Europas in Zeiten periodisch hereinbrechender Versorgungskrisen, profitierte die Kornkammer Sizilien von der Nachfrage und den hohen Preisen in Notzeiten. Diese insgesamt günstige Position schloss Engpässe im eigenen Lande jedoch nicht aus. Zu einer solchen Zuspitzung kam es, wie im gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus, in den Jahren 1647 und 1648. Die seit Jahrzehnten spürbare Klimaverschlechterung (spätere Historiker tauften sie nach dem damals neunjährigen französischen König „die kleine Eiszeit im Zeitalter Ludwigs XIV.“) ließ die Aussaat verfaulen und die Ernte so mager wie seit Menschengedenken nicht mehr ausfallen. Da das Land gegenüber den großen Städten in Sachen Getreideversorgung durch Zwangsablieferungen benachteiligt war, setzten Hunger und Massensterben zuerst in der Provinz ein, um danach die Metropole Palermo zu erreichen. Dort sah die Unterschicht im Mai 1647 den Basispakt „Gehorsam gegen Brot“ verletzt und schritt zum Widerstand. Ihren Protest brachten die kleinen Leute in streng ritualisierten Aktionen zum Ausdruck, die die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen unterstreichen sollten. Der Vizekönig, der den Brotpreis erhöht hatte, musste sich gefallen lassen, der Verletzung seiner elementaren Fürsorgepflichten und daher der Gotteslästerung bezichtigt zu werden; in einer feierlichen Prozession brachte die Menge dem Christusbild auf dem Altar des Domes einen Laib Brot, auf einer Lanze aufgespießt, dar. Dazu skandierte sie die seit langem üblichen Parolen: Der König solle leben, die in seinem Namen ausgeübte schlechte Regierung aber verderben – und mit ihr jegliche Besteuerung von Grundnahrungsmitteln. Parallel dazu wurden öffentliche Gebäude in Brand gesteckt und die wenigen noch vorhandenen |146| Vorräte geplündert. Bezeichnenderweise blieben die Unruhen auf Palermo beschränkt, ja, die Führungsschicht von Messina packte die günstige Gelegenheit beim Schopf und präsentierte sich – in der Hoffnung, auf Kosten der verhassten Rivalin Vorrechte einzustreichen – geradezu als hyperloyal gegenüber dem Vizekönig.
Dem Aufmarsch der Besitzlosen hatte dieser nichts entgegenzusetzen. Wie immer in solchen Fällen gab die Obrigkeit klein bei und verkündete die Streichung aller Abgaben – ein taktisches Vorgehen, das der Vorbereitung von
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