Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Gegenmaßnahmen dienen sollte. Doch diese wurden ihr durch die
maestranze
, die Handwerkerzünfte, weitgehend aus der Hand genommen. Die in ihnen zusammengeschlossene gewerbliche Mittelschicht hatte durch den Aufstand ebenfalls viel zu verlieren: Privilegien, die ihnen nicht nur exklusive Produktionsrechte einräumten, sondern auch die einseitige Festsetzung von Löhnen und Preisen erlaubten und als Folge dieser Vorrechte Ehre verliehen. Im Spätsommer 1647 war der Aufstand und mit ihm das partielle Entgegenkommen gegenüber den Forderungen der Armen zu Ende. Und mit der Rückkehr der spanischen Truppen im September verschärfte sich die Repression gegenüber den Anführern der Unruhe. Doch auch die Zünfte, die den Reichen so nützliche Polizeidienste geleistet hatten, wurden ihres Erfolges nicht froh. Der neue Vizekönig sorgte nicht nur dafür, dass die großen Adelsfamilien ihre eigenen „Schutztruppen“, zum großen Teil
banditi
, in die Stadt brachten, sondern hob auch die letzten Steuervergünstigungen zugunsten der kleinen Leute und der Mittelschicht zum Vorteil des Adels auf. Nur Bestimmungen, von denen man sich langfristig einen gewissen psychologischen bzw. pädagogischen Nutzen versprach, blieben in Kraft. So mussten – Konzession an die Besitzlosen – alle privaten Kornvorräte künftig der Stadtverwaltung gemeldet werden und alle nicht seit mindestens zehn Jahren ansässigen Personen ohne Arbeit die Stadt verlassen. Auf der anderen Seite wurden strenge Verordnungen zur Hebung der öffentlichen Sittlichkeit erlassen, deren Absinken man für die Gottesstrafe der Hungersnot verantwortlich machte. Im Rahmen dieser moralischen Aufrüstungskampagne wurde auch das in breiten Kreisen populäre Glücksspiel verboten. Doch mussten die Würfel- und Kartenspieler in Ermangelung von Kontrollen kaum befürchten, die dafür angedrohte Höchststrafe als Ruderer auf spanischen Galeeren wirklich abbüßen zu müssen.
Entsprach der Palermitaner Aufstand, ungeachtet inselspezifischer Elemente wie der Rolle der
maestranze
und anderer Formen sozialer und geographischer Aufsplitterung, dem Idealtypus popularer Unruhen, so nahm der Widerstand Messinas gegen die spanische Herrschaft zwischen 1674 und 1678 von der Spitze |147| der sozialen Pyramide seinen Ausgang. Die schmale Gruppe der Adelsfamilien, die die Stadt unter Kontrolle hatten, war vom geringen Ertrag enttäuscht, den sie für ihre Hilfe während der palermitanischen Unruhen eingestrichen hatten. Zudem sahen sie die lokale Seidenerzeugung, die viele ihrer Besitzungen besonders profitabel gemacht hatte, durch die stark aufgekommene französische Konkurrenz zurückgedrängt, was sie ungenügender Förderung durch den Vizekönig anlasteten. Und um das Maß voll zu machen, hatte sich der spanische Statthalter, der trotz seines hochtrabenden griechischen Titels eines
strategoto
wenig zu sagen hatte, einer Strategie des „Teile und herrsche“ zu befleißigen versucht. Sie zielte darauf ab, die Forderungen der gehobenen Mittelschicht nach mehr Vertretung und Einfluss in der Stadtregierung zu unterstützen und diese damit auf seine Seite zu ziehen. Damit – so sah es die Führungsschicht – hatte die spanische Krone jedes Anrecht auf Gehorsam verwirkt; es war mithin höchste Zeit, gemäß den Regeln des bewährten „Dynastie, wechsel dich“-Spiels nach einem besseren |148| Landesherrn Ausschau zu halten, das heißt nach einem Fürsten, der loyale Dienste zu schätzen wissen würde. Große Auswahl an mächtigen Protektoren, die dem König in Madrid die Stirn bieten konnten, gab es allerdings nichts. Und so trug der frustrierte Adel von Messina die Hoheit seiner Stadt ausgerechnet Ludwig XIV. an, der mit seiner Förderung der einheimischen Seidenindustrie die lokale Produktion hatte ins Stocken geraten lassen.
|147| Messina war die ewige Rivalin Palermos; wer der einen Stadt Privilegien erteilte, machte sich die andere zum Feind. Grundriss des 18. Jahrhunderts
|148| Ein solches Angebot schlug der „Roi Soleil“ natürlich nicht aus – umso weniger, als er sich mit Spanien, den Niederlanden und England im Krieg befand. Mit der Entsendung französischer Truppen wurde die Insel zu einem Nebenschauplatz dieses Konflikts um die europäische Hegemonie. 1676 wurde die spanische, um einige Galeeren von der Insel verstärkte Flotte von französischen Geschwadern vor Palermo vernichtend geschlagen. Nicht erst seit dem Untergang dieses Aufgebots hielt Palermo treu zum
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