Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Vizekönig, nach der Logik: Was Messina schadet, gereicht uns zum Nutzen. Die erhofften Vorteile zog die rebellische Stadt an der Meerenge aus dem Abfall von ihrem Herrn jedenfalls nicht. Eine französische Garnison verhinderte zwar die Rückeroberung, machte sich ansonsten jedoch alles andere als beliebt. Durch den Krieg gegen die Niederlande in permanenter Geldnot, zeigte der französische Monarch sogar noch weit weniger Neigung, die Steuerprivilegien der Stadt zu respektieren, als sein Rivale in Madrid. Zudem kam das örtliche Gewerbe durch die Abschnürung von der übrigen Insel vollends zum Erliegen. Dadurch floss immer weniger Getreide aus der übrigen Insel in die Stadt, was Engpässe, Teuerung und Hungersnot zur Folge hatte. Spät gelangte die adelige Führungsgruppe so zu der Erkenntnis, für Frankreich nur Mittel zum Zweck gewesen zu sein, wie sie selbst den Herrschaftswechsel für ihre eigenen Ziele auszunutzen versucht hatten. Als die spanischen Truppen 1678 zurückkehrten, war ihnen der Beifall der lokalen Honoratioren daher sicher.
Doch mit dem nach so vielen Aufständen üblichen Vorgehen, einige Rädelsführer zu bestrafen und die unschönen Vorkommnisse ansonsten der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, war es diesmal zum Frohlocken der Palermitaner nicht getan. Durch den Übertritt einer so wichtigen Stadt auf die Seite des europäischen Hauptkonkurrenten war das unübersehbar brüchiger werdende spanische Imperium herausgefordert – ein Exempel musste statuiert werden. Zur Abschreckung vor weiterem Verrat wurde der Stadtpalast von Messina abgerissen, das Erdreich umgepflügt und mit Salz bestreut – so hatte Rom einst Karthago unbewohnbar gemacht. Doch mit solchen pathetischen Demütigungsriten hatte die Bestrafung nicht ihr Bewenden. Messina verlor viel von seiner städtischen Selbstverwaltung, seine Universität und die königliche Münzstätte (die, wie |149| konnte es anders sein, nach Palermo verlegt wurde) und erhielt als dauerhafte Warnung ein riesiges Militärkastell; zahlreiche Adelsfamilien wurden enteignet und ihre Güter an loyale Gefolgsleute der Krone vergeben. Kurzfristig mochten diese Repressalien durch die Furcht, die sie verbreiteten, von erneuten Aufständen abhalten. Auf Dauer aber schwächte sich die spanische Herrschaft durch das harte Durchgreifen selbst: Warnten nicht alle Landeskundigen seit fast zwei Jahrhunderten davor, das labile Gleichgewicht auf der Insel nachhaltig zu stören?
Bezeichnenderweise griffen die Vizekönige in der zweiten Hälfte des 17. Jh., vom Störfall Messina abgesehen, immer weniger in die inneren Verhältnisse der Insel ein. Parallel dazu mehrten sich die Berichte über die dort herrschende Anarchie: „Banditen“ plünderten die Reisenden aus oder verwüsteten im Auftrag von Adeligen die Güter von deren Feinden, die allgemeine Unsicherheit in Stadt und Land führte dazu, dass Handel und Wandel immer mehr zum Erliegen kamen – so der Tenor. Ob sich die Zustände wirklich zuspitzten, ist fraglich; sicher hingegen ist, dass sich die Wahrnehmung der Verhältnisse im Zeichen der Frühaufklärung allmählich veränderte. Nach den ungeheuren Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges konnte – so die übereinstimmende Einschätzung von Mächtigen und Intellektuellen – nur noch ein stärkerer, alle Gewalten an sich ziehender Staat vor einem Rückfall in den Krieg jeder gegen jeden schützen; in Süditalien und speziell in Sizilien aber schien sich diese Entwicklung geradezu ins Gegenteil zu verkehren. Die Insel, die ein halbes Jahrtausend zuvor als Modell guter Regierung gegolten hatte, wurde jetzt in den Augen der europäischen Öffentlichkeit zum Stein des Anstoßes, ja zum negativen Exempel – so verkommt der Mensch, wenn er durch Adelswillkür und belohntes Unrecht zum Bösen erzogen wird. Dementsprechend sind alle Fremdzeugnisse, speziell Reiseberichte vom 18. Jh. bis zur Gegenwart, mit höchster Vorsicht aufzunehmen. Sizilien hatte sein Image: ungezügelt, unbeherrscht und unbeherrschbar – das waren von jetzt an die gängigen Kennzeichnungen. Wer den Sizilianern wohlwollte, wandelte dieses Vorurteil ins Positive gewendet ab: die ausgebeutete, fremdbestimmte, mit einem Wort: die tragische Insel, auf der Gut und Böse so verbindungslos wie nirgendwo sonst aufeinandertrafen. Bei aller Unterschiedlichkeit der Vorzeichen und Schuldzuweisungen meinen beide (Vor-)Urteile im Kern dasselbe: Unregierbarkeit als Folge fehlender Ordnung und
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