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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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zuvor – Sizilien fiel kampflos in neue Hände.
    König von Sizilien wurde im Frieden von Utrecht Viktor Amadeus II., Herzog von Savoyen und Fürst von Piemont. Historisch gewachsene Beziehungen zu Sizilien hatte der neue Monarch aus einer der ältesten und vornehmsten Adelsfamilien nicht, wohl aber große Pläne mit seinem neuen Königreich. In rastloser Reformtätigkeit hatte Viktor Amadeus – einer der dynamischsten und durchsetzungsfähigsten Fürsten seiner Zeit – seinem alpinen und norditalienischen Herrschaftsgebiet eine neue soziale und politische Ordnung verschafft. Die einheimische Aristokratie, deren Stellung in ihren Lehen auf die unteren Verwaltungsfunktionen beschränkt war, konnte ihre Privilegien nur dadurch behalten, dass sie sich zur Funktionselite in Militär und Justiz wandelte – aristokratischer Rang wurde an Aufgabenerfüllung unter den Argusaugen des Königs geknüpft. Zudem war im savoyisch-piemontesischen Herrschaftsgebiet mit dem Amtsadel ein zweites, von der Gunst des Königs abhängiges Elitensegment ursprünglich stadtbürgerlicher Herkunft emporgekommen, das mit der alten Aristokratie teilweise verschmolz und wesentlich dazu beitrug, dass die Oberschicht insgesamt ihr Selbstverständnis in der militärischen und administrativen Ämterlaufbahn ausbildete. Darüber hinaus hatte der Herzog in schweren Kämpfen den Einfluss der Kirche in Schulen und Universität zurückgedrängt und damit eine für Europa vor der Französischen Revolution ungewöhnlich starke Machtstellung gewonnen. Dass ausgerechnet der Herrscher über ein weitgehend französischsprachiges Territorium zum neuen König Siziliens auserkoren wurde, war die Folge einer gewagten außenpolitischen Weichenstellung, mit der Savoyen-Piemont am Beginn des Krieges aus der jahrzehntelangen Abhängigkeit von Frankreich heraus und auf die Seite Englands und Habsburgs übergetreten war. Kaiser Karl VI. hätte naturgemäß eine österreichische Herrschaft über Sizilien bevorzugt, doch stieß diese Wiedervereinigung der Kronen mehr als vier Jahrhunderte nach dem Untergang der Staufer auf britische Bedenken. Lachender Dritter wurde so Viktor Amadeus, den ein englischer Flottenverband im Herbst 1713 nach Sizilien eskortierte.
    Doch froh wurde er seines frisch gewonnenen Königreichs nicht. Ein König, der davon überzeugt war, dass nichts, aber auch gar nichts so bleiben konnte, wie es war, und ein Adel, der mit äußerster Zähigkeit an jeglichen Formen des Herkommens, sofern sie ihm nützten, festzuhalten gesonnen war: Eine konfliktträchtigere |155| Konstellation ließ sich schlichtweg nicht denken. In dem einen Jahr, das Viktor Amadeus auf der Insel verbrachte, entwickelte er mehr Reforminitiativen als die spanischen Vizekönige in drei Jahrhunderten. Statistikgläubig wie alle Reformkräfte der Zeit, ordnete der König als ersten Schritt zur Veränderung umfassende Erhebungen an: zur Wirtschaftskraft, zum Steuereinkommen und nicht zuletzt zu Privilegien und brachliegenden Ressourcen. Dabei stach schon auf den ersten Blick die Ineffizienz der Verwaltung hervor – wenn man der widersprüchlichen Gemengelage aus aristokratischen Kompetenzen, korporativen Vorrechten, kirchlichen Immunitäten und vereinzelten Eingriffsmöglichkeiten der Zentralgewalt überhaupt diese Bezeichnung zukommen lassen konnte. Für einen nüchternen und praktischen Geist wie Viktor Amadeus lag das Grundproblem in der Rückständigkeit der Wirtschaft; war diese erst einmal modernisiert, dann würden sich – so die Erwartungen des Königs und seiner Berater – wohltuende erzieherische Wirkungen auf breite Bevölkerungskreise alsbald einstellen. Ja, der Souverän sah sich selbst als Erzieher seiner Untertanen. In Turin kursierten – im Kern fraglos wahre – Geschichten, dass der rastlose Monarch nachts durch die Straßen seiner Hauptstadt schlich, um auszuspionieren, wer noch über den Büchern und am Spinnrad saß. Diesem Grundsatz gemäß, dass nur ein fleißiger Untertan ein guter Untertan sei, musste sich der sizilianische Adel jetzt individuelle Eignungskontrollen gefallen lassen; über jeden Aristokraten wurden Dossiers angelegt, die seine Tauglichkeit für Ämter der verschiedenen Kategorien erweisen sollten. Das Ergebnis fiel für die alte Elite der Insel nicht allzu schmeichelhaft aus; immerhin schafften einige wenige von ihnen sogar den Sprung in Führungspositionen. Dort sahen sie sich allerdings von Piemontesen majorisiert, die sich in den Augen

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