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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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unvermindert lodernder alteuropäischer Leidenschaften.

|151| XV  Grenzen der Aufklärung
    Dem Stereotyp der Feuer-Insel entsprach selbst die Natur. 1669 zerstörte ein gewaltiger Ausbruch des Vulkans Ätna, aus dessen Schlund sich eine zwei Kilometer breite Lavaflut ergoss, weite Teile Catanias und speziell den Hafen. Kaum war das Schlimmste behoben, als 1693 ein ungewöhnlich starkes Erdbeben an derselben Stelle kaum einen Stein auf dem anderen ließ und neben zahlreichen Dörfern auch die alte Stadt Noto dem Erdboden gleichmachte. Doch wie in jeder Katastrophe schlummerte auch in dieser die Chance zum Neuanfang: Noto wurde, um einige Kilometer zur Küste hin verschoben, grandios wiederaufgebaut, und zwar mit allen Inszenierungskünsten der besten Barockbaumeister Siziliens: Kuppelgeschmückte Kirchen und Adelspaläste mit phantasievoll geschmückten Fassaden an steil auf- und absteigenden Straßendurchbrüchen mit eindrucksvollen Perspektiven machten die Stadt zu einer Schaubühne aristokratischen Selbstverständnisses und damit zur vielleicht „sizilianischsten“ Stadt überhaupt. Sie zeigt, was auf der Insel zählte (und zählt): die durch die Großartigkeit der äußeren Formen widergespiegelte Würde von Familien und Individuen, ihre Repräsentation im öffentlichen Raum und den dadurch gewonnenen Rang nach außen. Für die meisten Zeitgenossen war das Erdbeben allerdings ein Memento: Wie konnte Gott sinnfälliger zur sittlichen Umkehr mahnen als dadurch, dass er den Menschen zeigte, auf welch schwankendem Grund er mit all seiner Sündhaftigkeit stand? So tönte es von allen Kanzeln der Insel. Das kleine Häuflein moderner Naturwissenschaftler im Geist Descartes’, die nach physikalischen und chemischen Ursachen der Erschütterung suchten, kam gegen diese vorherrschende Deutung nicht an.
    Sieben Jahre nach dem Untergang des alten Noto erlosch die habsburgische Dynastie im Mannesstamm. Um die spanische und damit auch sizilianische Erbfolge entzündete sich ab 1700 ein europäischer Krieg zwischen Ludwig XIV., der, auf das Testament des verstorbenen Karls II. gestützt, die spanische Krone |152| für seinen Enkel Philipp V. forderte, sowie den österreichischen Habsburgern und England auf der anderen Seite, die eine Vereinigung beider Königreiche in einer Dynastie um jeden Preis verhindern wollten. Sizilien wurde so in einen Konflikt verwickelt, der Adel und Volk gleichermaßen kaltließ. Wie wenig die spanische Herrschaft in nunmehr drei Jahrhunderten verwurzelt gewesen war, hatte sich bei der Machtübergabe an Philipp V. gezeigt: Der Vizekönig rief dazu auf, dem neuen Herrn zu huldigen, und alle, alle kamen – dass man jetzt einem |153| Bourbonen die Treue schwor, die man bis kurz zuvor dessen Erzfeind gelobt hatte, machte offenbar kaum einen Unterschied. Doch so glimpflich kam die Insel im mehr als zwölf Jahre dauernden Krieg nicht davon. Dazu neigte sich das Kriegsglück zu sehr auf die Seite Österreichs und seines an allen Fronten siegreichen Feldherrn Prinz Eugen von Savoyen. Nachdem dieser die Franzosen bei Turin geschlagen hatte, zog die habsburgische Armee ungehindert die Halbinsel hinab nach Süden, eroberte Neapel, wo fortan ein habsburgischer Vizekönig regierte, und erreichte im Jahr darauf Kalabrien.

    |152|  Die Einwohner von Catania wussten, dass sie auf brüchigem Grund gebaut hatten. Ausbrüche des Vulkans Ätna galten dem Volk bis tief ins 20. Jahrhundert hinein als Strafe Gottes für die Sünden der Mächtigen. Fresko um 1600.

    |153|  1693 wurde das alte Noto (heute eine romantische Ruinenlandschaft) zerstört – und die Stadt gleichen Namens daraufhin mit prachtvoller Bühnenarchitektur neu erbaut.
    Im Zeichen dieser Bedrohung kam es in Palermo zu Unruhen, aus denen die
maestranze
als Sieger hervorgingen, weil sie die Unterschicht zu mobilisieren vermochten. Die Gegenwehr des Adels, der bewaffnete Banden mobilisierte, blieb zunächst ergebnislos, so dass der Vizekönig nach Messina fliehen musste. Doch endete der Aufstand so wie alle zeitweise erfolgreichen Erhebungen zuvor: durch die Uneinigkeit der Sieger. Rivalitäten innerhalb der Korporationen selbst |154| und vor allem zwischen den wohlhabenden Händler- und Handwerkerfamilien, die diese beherrschten, brachten die alte Elite wieder an die Macht zurück. Die vom Vizekönig mit seinem bescheidenen Truppenaufgebot befürchtete Überfahrt der Habsburger aber ließ auf sich warten. Und am Ende kam ihr der Friedensschluss

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