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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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gleichrangiges Herrschaftsgebiet! Denn darum allein konnte es jetzt noch gehen: den von der savoyischen Dynastie so lange so heiß begehrten Königstitel zu behalten und auf ein neues, einigermaßen ansehnliches Territorium zu übertragen – am Ende wurde es Sardinien. Sizilien aber, das Viktor Amadeus unter Mitnahme von Aktenbergen, Archivalien und talentierten Sizilianern wie des jungen Stararchitekten Filippo Juvara nach nur fünfjähriger Regierung auf Nimmerwiedersehen verließ, wurde umgehend zum Zankapfel zwischen Spanien und Österreich. Beide Mächte beriefen sich auf mittelalterliche Vorgänger und Rechte, doch konnte diese traditionelle Einkleidung der Ansprüche nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht um sizilianische Interessen, sondern allein um die Erweiterung des jeweiligen Machtbereichs ging. In diesem Ringen setzte sich das durch die Diplomatie und Militärorganisation des Prinzen Eugen aufgestiegene Österreich nochmals durch; in der blutigen Schlacht von Francavilla wurden die Spanier 1719 geschlagen, Karl VI. durfte sich zum König von Sizilien ausrufen lassen, die Kaiserwürde und das Königreich Rogers II. waren 500 Jahre nach Friedrich II. wieder vereint.
    Nun also Anweisungen aus Wien und ein von dort gesandter Vizekönig! Der sizilianische Adel hatte seine Vorrechte gegen Staufer, Anjou, Aragonesen, spanische Könige und selbst gegen einen so reformbesessenen Allesveränderer wie Viktor Amadeus II. verteidigt – da würde er doch wohl mit diesen fremden Herren aus dem fernen Donauraum spielend fertig werden, so die allgemeine Einschätzung. Nach vorsichtigen Sondierungen zu Mentalitäten und Stimmungslage sowie einigen rasch behobenen atmosphärischen Störungen in Fragen der Ehre und des Zeremoniells agierte die habsburgische Administration mit bemerkenswerter Vorsicht, ja mit Fingerspitzengefühl. Obwohl sie an sich ähnliche Ziele wie der jetzige König von Sardinien verfolgte, gingen die österreichischen Vizekönige mit taktischem Geschick, das heißt behutsamer und flexibler vor. Dem enormen Stellenwert der Ehre entsprechend wurden loyale Aristokraten mit wohlklingenden (und für den Kaiser wohlfeilen) Reichstiteln geschmückt. Selbst kleinere Adelsfamilien sahen sich zu ihrem Entzücken jetzt als spanische |158| Granden tituliert. Doch auch andere, politisch wichtigere Schroffheiten wurden jetzt zurückgenommen. Hatte unter Viktor Amadeus jeder Baron, der auf seinen Gütern
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beschützte oder gar in Dienste stellte, mit harten Strafen rechnen müssen, so wurde dieser seit unvordenklichen Zeiten gängige Brauch, sich auf dem Land bewaffneten Anhang zuschaffen, jetzt als ein eher lässliches Vergehen eingestuft. Und auch die Kirche, selbst die Inquisition durften aufatmen – ihre unter dem piemontesischen Bürokraten-König eingeschränkten Freiräume und Tätigkeitsfelder wurden weitgehend wiederhergestellt. Kein Wunder also, dass der neue Papst, Benedikt XIII., einlenkte und die Vollmachten der apostolischen Legation unter verändertem Namen weitgehend ungeschmälert wieder in Kraft setzte.
    Hinter so viel Entgegenkommen Wiens aber verbarg sich der Versuch, die vom Wildwuchs der Sonderrechte, Sondergerichte, Sonderverwaltungen und Sonderstatuten zersplitterte Insel administrativ zu vereinheitlichen und dadurch Wirtschaftskraft und Steueraufkommen zu stärken. Wie schon Viktor Amadeus versuchten die österreichischen Vizekönige, die Fruchtbarkeit der Insel für eine intensivierte und spezialisierte gewerbliche Produktion, zum Beispiel von Zucker, zu nutzen. Um die Vermarktung dieser Erzeugnisse zu fördern, erhielt Messina den Status eines Freihafens, das heißt, auswärtige Händler wurden von den andernorts geltenden Einschränkungen und Abgaben befreit. Arbeitskraft – so der Tenor der in die Hofburg geschickten Berichte zur Lage der Insel – gab es überreichlich; das Problem bestand darin, dieses Reservoir zur Hebung des Wohlstands und nicht zuletzt der Arbeitsmoral zu aktivieren. Dem aber standen – so die Wahrnehmung der österreichischen Frühaufklärer – schwer überwindliche Hindernisse entgegen: Der Adel hatte ein ausgeprägtes Interesse an billigen Tagelöhnern und bewaffneten Banden. Und zudem fehlte es an Schulen und Ausbildungsstätten, die allein die richtige Gesinnung, nämlich Pflichtbewusstsein, Sparsamkeit, Fleiß und Gehorsam, vermitteln konnten.
    Doch auch dieses moderate Experiment, die Insel im Namen zeitgemäßer Werte umzubilden, kam rasch

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