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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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der Einheimischen auf provozierende Weise herablassend, wie Missionare gebärdeten, die einer rückständigen Völkerschaft die Segnungen der Zivilisation bringen wollten, notfalls auch gegen deren Willen.
    Dazu gehörte, das Agrarland Sizilien durch die Einrichtung zeitgemäßer Gewerbebetriebe wirtschaftlich leistungsfähiger und für den Fiskus lukrativer zu machen. Vor allem in den Sektoren Papier-, Textil- und Glasherstellung sollten auf die Insel gerufene Facharbeiter ihr Know-how an die Sizilianer weitergeben. Reformbedürftig aber war für die Piemontesen vor allem der Bereich der landwirtschaftlichen Produktion. Das
terraggio -System
bot kaum Anreize für Ertragsteigerungen und begünstigte eine Rentier-Klasse, die sich in der Stadt dem Müßiggang hingab – ein für Viktor Amadeus, der keine Verschwendung von Ressourcen duldete, unerträglicher Zustand. Dementsprechend wurden Maßnahmen ins Auge gefasst, die die lähmende Feudalherrschaft auf dem Lande |156| aufbrechen sollten. So sollten ohne Lizenz gegründete Kolonien jetzt an die Krone heimfallen. Doch das war nur ein erster Schritt. Das Ziel aller Bemühungen war eine viel weiterreichende Landreform, die darauf abzielte, größere und damit ertragreichere Bauerngüter zu schaffen. Diese sollten nicht mehr auf persönlicher Abhängigkeit beruhen, sondern zu modernen Konditionen, das heißt auf der Grundlage jährlicher Geldzahlungen, verpachtet werden. Man musste kein Prophet sein, um zu ahnen, worauf alle diese Neuerungen hinauslaufen würden: auf die unumkehrbare Abtragung der adeligen Dominanz auf dem Lande. An die Stelle der Feudalherren sollte der König und mit ihm ein in Sizilien weitgehend unbekanntes anonymes Gebilde treten: der Staat in Gestalt von immer mehr Bürokratie und Aufsicht.
    Doch nicht nur seine soziale und wirtschaftliche Machtbasis, auch seine Ehre sah der sizilianische Adel unter dem neuen Inselherrn in höchster Gefahr. Als geschworener Verächter allen Pomps trug Viktor Amadeus II. keine höfischen Goldbrokatgewänder, sondern schmucklose Arbeitskleidung aus ungefärbtem Wollstoff sowie klobige Stiefel – Wie ein Bauer, lästerten die Aristokraten. Und schockierender noch: Wie gleichzeitig im Preußen des Soldatenkönigs fanden die aufwendigen Feste, die dem Adel das städtische Leben so lange versüßt hatten, ein jähes Ende. Die alte Elite sah die Exklusivität ihres Lebensstils und damit die Distinktion, die sie weit über andere Schichten hinaushob und ihr Sozialprestige begründete, akut gefährdet. Und doch waren es nicht all diese Missachtungen von Vorrechten, Verletzungen geheiligter Traditionen und Brüche lieb gewonnener Gewohnheiten, die den unvermeidlichen Konflikt mit dem König aus dem Norden entzündeten, sondern Kontroversen über kirchliche Privilegien. So wie Viktor Amadeus langfristig beabsichtigte, die seit Jahrhunderten weitgehend abgabenfreien adeligen Besitzungen künftig zu besteuern, so ging er auch gegen fiskalische Sonderrechte des Klerus vor, und zwar, wie konnte es anders sein, unter Berufung auf die apostolische Legation von 1098. Da der in den Kabinettskriegen Europas seit 1700 permanent gedemütigte Papst Clemens XI. wenigstens hier einen Achtungserfolg erzielen und die in seinen Augen ominösen Sonderrechte annullieren wollte, kam es ab 1715 zu einem die aufgeklärte Öffentlichkeit anachronistisch anmutenden Kampf zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt. Wie einst Papst Gregor VII. entband der Papst die Sizilianer von ihren Treueverpflichtungen gegenüber einem Monarchen, der die Rechte der Kirche mit Füßen trat und sich damit an Christus selbst versündigte. Stimmten die kleinen Leute diesem Blasphemie-Vorwurf aus vollem Herzen zu, so bot die Auseinandersetzung dem Adel die lang ersehnte Gelegenheit, seine Unzufriedenheit in eigener Sache hinter edlen Motiven zu verbergen und im |157| Namen höherer Werte gegen einen Herrn zu kämpfen, der nichts so lassen würde, wie es war und bleiben sollte.
    Im heimischen Turin, mit der Unterstützung loyaler Amtsträger und nicht weniger Kleriker, vermochte Viktor Amadeus solche Konflikte erfolgreich zu bestehen. In Sizilien – das zeichnete sich nur allzu bald ab – stand er an so vielen Fronten und ohne verlässliche Alliierte auf verlorenem Posten. Im Bestreben zu retten, was noch zu retten war, leitete er Verhandlungen ein, die auf ein zeittypisches Tauschmanöver hinausliefen: Biete das illustre, doch leider ungebärdige Sizilien gegen ein

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