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Skagboys 01

Skagboys 01

Titel: Skagboys 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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und ein Stück Rasierseife. Sie nahm den Pinsel heraus und hielt ihn gegen ihr Kinn, um zu sehen, wie sie mit einem Ziegenbart ausschauen würde. Dann legte sie ihn wieder zurück und nahm das Rasiermesser mit dem Beingriff aus der Tasche. Sie öffnete die Klinge. Wie leicht sie sich in ihrer Hand anfühlte. Und doch so tödlich. Alison rollte ihren Ärmel nach oben bis über ihren Bizeps, setzte das silberfarbene Metall an und zog es über Vene und Arterie hinweg. Sofort ergoss sich ein Strom warmes Blut auf den gefliesten Fußboden.
    Mum …
    Es fühlte sich gut an – so als würde der Schmerz mit dem Blut aus ihrem Körper herauslaufen und ein schrecklicher Druck von ihr abfallen. Ein beruhigendes Gefühl. Sie lehnte sich gegen die Wand und rutschte an ihr nach unten.
    Mum …
    Als sie auf dem Boden saß, änderte sich ihre Wahrnehmung. Es war zu viel Blut, das sich da auf den Fliesen sammelte! Zuerst wurde sie von einer kriechenden Übelkeit ergriffen. Dann stieg eine verzweifelte Angst in ihr auf. Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden.
    Dad, Mhairi, Calum …
    Sie riss das Handtuch von der Stange, wickelte es sich um den Arm und drückte so kräftig auf die Wunde wie nur möglich. Anschließend hievte sie sich hoch und wankte in das Wohnzimmer zum Telefon. Ihr Puls hämmerte gegen ihre Schädeldecke, als sie den Notruf wählte und nach einem Krankenwagen verlangte. — Ich habe einen Fehler gemacht, hörte sie sich selbst wieder und wieder keuchen. — Bitte schicken Sie einen Krankenwagen. Schnell.
    Ein Fehler … und das ist noch milde ausgedrückt …
    Das Handtuch war bereits voller Blut. Sie kroch auf den Knien zur Eingangstür und öffnete sie. Kraftlos setzte sie sich an die Wand neben der Tür und merkte, wie ihre Augen schwer wurden.
    — … milde …
    Erst im Krankenhaus erlangte sie das Bewusstsein wieder und blickte in eine Reihe ernst dreinschauender Gesichter. Man erklärte ihr, dass sie gerade noch rechtzeitig gefunden worden war und extrem viel Glück gehabt hatte. — Bitte erzählen Sie es nicht meinem Vater, bat sie, als man sie nach den Kontaktdaten der nächsten Angehörigen fragte.
    — Wir müssen aber jemanden informieren, erklärte ihr eine klein gewachsene Krankenschwester mittleren Alters mit strenger Stimme.
    So gab sie ihr die Nummer von Alexander, weil ihr sonst niemand einfiel.
    Die Ärzte versorgten ihre Wunde und gaben ihr einen Liter frisches Blut. Später kam Alexander vorbei. Er war es auch, der sie am nächsten Tag in ihre Wohnung nach Pilrig fuhr. Er hatte ihr chinesisches Essen gekauft und verbrachte die Nacht auf ihrer Couch. Sie schlummerte noch, als er am folgenden Morgen noch einmal nach ihr sah und dann zur Arbeit ging. Beim Verlassen des Hauses schaute er auf das Foto seiner beiden Kinder, das er im Portemonnaie bei sich trug. Er und Tanya, sie mussten jetzt für die beiden da sein. Am Abend kam er erneut vorbei, um nach Alison zu sehen. Er erzählte ihr von den zwei Wochen Urlaub, den er ihr eingetragen hatte. Mit einem verschmitzten Lächeln fügte er hinzu, dass er ihre mündliche Kündigung ignorieren würde. — Ich habe kein formgerechtes Kündigungsschreiben erhalten …
    Sie saßen noch eine Weile zusammen – sie auf der Couch, er im Sessel – und redeten über ihre persönlichen Verluste. Alexander wurde schnell klar, dass seine Erfahrungen in diesem Bereich sehr beschränkt waren. — Tanyas Vater ist vor drei Jahren gestorben. Massiver Herzinfarkt. Seit dieser Zeit ist sie ständig verärgert, ständig wütend. Hauptsächlich über mich, wie mir scheint. Aber was kann ich dafür? Ich habe ihn doch nicht umgebracht. Es ist nicht mein Fehler.
    — Ihrer ist es auch nicht.
    Alexander dachte eine Weile darüber nach. — Nein, das stimmt, sagte er. — Und genauso wenig ist es dein Fehler, dass deine Mum gestorben ist. Daher solltest du dich auch nicht so bestrafen, als wenn das der Fall wäre.
    Sie schaute ihn an und fühlte eine beklemmende Angst in sich aufsteigen. Als die Tränen kamen, ließ sie ihnen freien Lauf und weinte das erste Mal in seiner Gegenwart. Für ihn fühlte es sich ganz anders an, als er es sich vorgestellt hatte. Er kam sich nicht groß, männlich oder gar als Beschützer vor. Ihr Gesicht war schrecklich verzerrt. Sie teilte diesen Moment mit ihm, ließ ihn teilhaben an diesem elenden Schmerz und dieser Machtlosigkeit, nichts dagegen tun zu können. — Ich wollte gar nicht

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