Skagboys 01
dann aber seine glasigen Augen wieder von mir ab, als hätte er in der kurzen Zeit alles gesehen und wäre jetzt gelangweilt.
Swanney zwinkert mir verstohlen zu. Von den anderen unbemerkt, zieht er eine kleine Rasierklinge aus der Tasche. Ich sehe, wie er sich die Innenseite seiner Wange aufschneidet und das Blut in die Hand tropfen lässt. — Verdammt, meine Wunde ist wieder aufgeplatzt …, meint er und schaut zu Len rüber, der sich bei diesem Anblick vor Angst in die Hose macht.
— Die Krankenschwester ist aber gerade nicht da …
— Ich helf ihm, sich sauber zu machen, melde ich mich freiwillig.
— Okay, in Ordnung …
Sick Boy, Keezbo und Spud starren uns wütend hinterher, während Swanney und ich den Flur runter zu den Toiletten hasten. Ruckzuck zieht er ein Besteck aus dem Schuh und kocht auf. — Letzter Fix, Kumpel. Also genieß es lieber, Mann. Uns steht ein harter Ritt bevor …
Er nimmt seinen Schlips und bindet mir damit den Arm ab. Nebenbei genehmigen wir uns eine Fingerspitze von dem Speed, das er aus der Tasche zaubert. Als er mir die Nadel reinjagt und das Heroin in mein Gehirn schießt, verschwinden alle Schmerzen und Sorgen … und das Speed-Tütchen fällt mir aus der Hand.
Du geile Skagsau, du geile! Verfickte Scheiße, ist das geil …
Ich sitze ziemlich breit auf dem Klodeckel, während Swanney sich selbst einen Schuss setzt. Er erzählt mir, dass er die ganze Zeit Stoff am Start hatte, dieser Fix aber der absolut letzte ist. Als er fertig ist, gabelt er das Speed-Tütchen vom Boden auf und hält es mir hin. Im Moment ist Speed allerdings so ziemlich das Letzte, was ich will. — Nimm schon, befiehlt er und legt sich dabei den Schlips wieder um den Hals. — Wenn die mitkriegen, dass du drauf bist, heißt’s Game over! Er verdreht die Augen. — Is gar nich so schlecht hier, sag ich dir. Viele neue Kontakte und so …
— Dank dir, Johnny, stöhne ich. — Saubere Nummer, Mann.
— Kein Ding, meint er nur.
Als wir zurückkommen, haben Len und Schwester Vierauge mit der Gruppensitzung begonnen, aber kein Schwanz hört zu. Alle versinken mit desinteressierten Visagen in ihren Stühlen. Wir hocken uns dazu. Es wird schon okay sein hier drin. Schließlich sind meine Leute da: die St. Monans-Crew.
Scheidepunkt
F ür Alison hatte sich die Zeit zu einer zerrütteten Aneinanderreihung von biologischen Impulsen verwandelt.
Ihre beiden Kollegen im Büro, Bill und Carole, wussten über ihre Beziehung zu Alexander Bescheid, waren aber diskret – beinahe so, als wären sie Alis Komplizen. Doch auch ihnen war aufgefallen, in welch desolatem Zustand Alison neuerdings bei der Arbeit auftauchte. Es gab Tage, an denen sie sich gar nicht blicken ließ. Das konnte unmöglich so weitergehen. Als sie sich an diesem Tag ins Büro schlich, war es bereits halb elf. Alexander zitierte sie sofort in sein Arbeitszimmer. Er war aufgebracht: Seine Augen glühten, seine Lippen bebten. — Es kann ja sein, dass es dir persönlich total egal ist …, begann er, — … aber wir befinden uns gerade am Scheidepunkt der größten Epidemie, die diese Stadt je gesehen hat. Ich kann nicht mehr länger die Augen verschließen und dich bevorzugt behandeln! Auf einmal veränderte sich seine Stimmlage – vom fordernden Chef zum bittenden Liebhaber –, und er sprach leise weiter. — Ali, du veralberst uns doch alle hier!
— Sorry … es ist nur so …, sie musste die Augen zusammenkneifen und blinzeln, weil silberne Lichtstrahlen durch die Rollos des großen Fensters hinter ihm fielen und sie blendeten. — Die Busse sind extrem unpünktlich …
— Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir dich wieder versetzen. Vielleicht sogar zurück zum RCP . Es ist mein Fehler. Ich hätte nichts mit dir anfangen sollen …
Ein eigenartiges Funkeln machte sich in Alisons Augen breit, und ihr Mund verzog sich trotzig. — Warum werde ich versetzt, wenn es dein Fehler ist?
Nach diesem Kommentar nahm Alexander sie plötzlich wieder als junges Mädchen wahr und gestand sich zum ersten Mal diesen versnobbten Blick auf Ali zu: Sie war eines dieser gewöhnlichen Mädchen, eine Sozialbauassel. Er schämte sich, so über Ali zu denken, und wusste nichts auf ihre Frage zu antworten. Sicher, es war nicht fair. Das war ihm klar. Er hätte jetzt über seinen Status und seine herausragende Rolle bei der Bekämpfung dieser Plage sprechen können, doch er war sich sicher, dass Ali das nicht hören wollte. Es war an der Zeit, ehrlich und
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