Skagboys 01
Schultern kleine Muskelpolster wachsen.
Es wäre cool, wenn ich es zu diesem geschmeidigen, katzenartigen Look von Iggy Pop bringen könnte: muskulös, definiert, aber trotzdem schlank und gelenkig. Seeker zeigt mir, wie man die Sache systematisch angeht: Wiederholungen, Sätze und all das Zeug. Vorher habe ich einfach die Hanteln so lange in die Luft gestemmt, bis ich müde wurde oder gelangweilt war. Unsere Interaktion ist eine ziemlich außergewöhnliche Sache, da mein Trainingspartner nicht gerade ein Mann großer Worte oder überhaupt irgendwelcher Worte ist. Tatsächlich würde ich das permanente Schweigen und die Tendenz zur Nicht-Kommunikation als die eine hervorragende Eigenschaft von Seeker bezeichnen. Ich meine, der Kerl trägt nicht umsonst dauernd eine Sonnenbrille. Im Haus!
Hitzige Session mit Tom. Er begann mit diesem Flachwichser von der Klinik, Dr. Forbes – wie die Sitzung gelaufen wäre und so. Dann fragte er: »Bist du deprimiert, Mark?«
»Was denken Sie denn? Ich sitze in einer Reha-Anstalt wegen Heroinabhängigkeit «, sagte ich. Als wäre das noch nicht Antwort genug, fügte ich hinzu: »In einem Kaff in Fife !«
»Ich meine vorher. Dein Bruder ist letztes Jahr gestorben. Hast du getrauert?«
Am liebsten hätte ich mit einer Gegenfrage geantwortet: »Warum zum Teufel sollte man trauern, wenn die Ursache für konstante Erniedrigung und Demütigung aus der Welt scheidet? Würden Sie sich etwa nicht freuen, wenn Sie als einer dieser schlaksigen, sensiblen, aber ziemlich egoistischen Kids in Leith aufwachsen und eines Tages erfahren, dass die Quelle tagtäglicher Qual und Pein verschwunden ist?« Stattdessen sagte ich aber etwas anderes. »Natürlich. Das war ein herber Verlust.«
Tag 19
Ich habe zu früh geurteilt! Seeker redet doch! Er erzählt mir, dass er vor ein paar Jahren einen schweren Motorradunfall hatte. Die Ärzte mussten ihm eine Metallplatte in den Schädel und einen Stift in sein Bein einsetzen. Im Sommer waren die Schmerzen erträglich. Im Winter allerdings konnte nur der Stoff ihm helfen. So wurde er irgendwann abhängig. Die Sonnenbrille, so erklärt er mir, ist nötig, weil er seit dem Unfall extrem sensibel auf Licht reagiert. So gesehen ist es ein kleines Wunder, dass er hier drinnen nicht krachen geht, denn die Neonleuchten an den Decken sind wirklich krass. Sogar ich habe abends regelmäßig Kopfschmerzen auf Migräne-Level von den Dingern. Wir entdecken, dass wir beide Frühaufsteher sind, und machen aus, vor dem Frühstück noch ein paar zusätzliche Sätze mit den Gewichten zu absolvieren.
Jetzt verstehe ich, wie Tom sich mit uns in den Sitzungen fühlen muss. Dieses Mal habe ich einen Durchbruch gehabt. Mit Seeker.
Tag 22
Von diesem Tagebuchscheiß wird man fast genauso schnell abhängig wie vom Skag, und so gefährlich wie das Weiße ist es allemal. Man fühlt sich nämlich gezwungen, eine ganze Menge persönlichen Scheiß reinzuschreiben. Gestern erst musste ich eine Seite aus dem Tagebuch und mehrere Blätter aus dem Journal rausreißen, weil ich einfach zu viel preisgegeben hatte. Ich hab die Seiten zusammengeknüllt und in den Papierkorb gedonnert. Was, wenn das irgendwer gelesen hätte? Klar, die sagen einem, dass die Tagebücher persönlich und vertraulich sind, aber was heißt das schon in diesem Laden?
Len hat gesehen, wie ich mit Seeker die Hanteln stemme, und so nimmt das Therapeutenteam nun an, dass ich bereit für die Teilnahme an den Gruppensitzungen zu Suchtthemen – O, Entschuldigung! – zu Themen der Substanzabhängigkeit bin.
Während in den Gruppensitzungen zur Prozessbegleitung unser allgemeines Verhalten diskutiert wird, sprechen wir in dieser Gruppe ausschließlich über unsere Drogenabhängigkeit und Themen, die damit in direkter Verbindung stehen.
Im Therapieraum setzten wir uns auf die im Halbkreis angeordneten Stühle, die aus laminiertem Sperrholz gefertigt sind und alles andere als ein Vergnügen für meine Knochen und meinen schwach gepolsterten Hintern darstellen. Bis auf die Stühle, ein Flipchart und ein paar Stifte war der Raum leer.
Tom hatte seine langen Finger ineinandergeschoben und um sein Knie gelegt. Auch er schien nicht sonderlich bequem zu sitzen. Die Spannung in seinem schlaksigen Körper kratzte an dieser Aura der Gelassenheit, mit der er sich jederzeit zu umgeben versuchte. Er trug Slipper und ahnte sehr wahrscheinlich nicht, dass circa achtzig Prozent der Anwesenden ihn damit automatisch als einen aalglatten
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