Skagboys 01
abstoßend. Ich wollte etwas zu Keezbo sagen, brachte aber nicht viel mehr raus als: »Komisch, dass ich dieses Bild noch nie zuvor gesehen habe.«
Zum Abendessen gab es Haggis mit Kohlrabi und Kartoffeln. Erst wollte ich das Haggis nicht essen, spachtelte es dann aber doch weg. Die Spiegelei-Alternative wäre in Kombination mit dem Kartoffelbrei und dem Kohlrabi nämlich eine reine Zumutung gewesen.
Während meines Einzelgesprächs am Nachmittag fragte mich Tom zu meinem Tagebuch. »Hast du ein paar Einträge gemacht?«
»Aye. Jeden Tag.«
»Gut. Was ist mit dem Journal?«
Er meinte den Teil weiter hinten, der in meinem Ringhefter (im wahrsten Sinne des Wortes) voller Wichsereien war. Tom schaute mich jedoch so ernst und wissbegierig an, dass ich mich für eine Lüge entschied. »Die Journaleinträge haben etwas Novelleskes. Essayistisch, verstehen Sie? Ich experimentiere da etwas und arbeite ein paar Sachen aus.«
»Was für Sachen?«
»Ein Essay, an dem ich an der Uni gearbeitet hab«, begann ich meine Bullshit-Laberei. »Ich meine, ich habe ihn abgegeben und so, aber ich hatte das Gefühl, ihn noch nicht wirklich beendet zu haben. Es fehlte einfach noch etwas. Es ging um F. Scott Fitzgerald. Kennen Sie sein Werk?«
»Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich noch nichts von ihm gelesen habe. Noch nicht mal Der große Gatsby «, meinte er und zog dazu ein relativ überzeugendes, reumütiges Gesicht.
»Ich bevorzuge Zärtlich ist die Nacht «, sagte ich. Kaum hatten die Worte meinen Mund verlassen, fuhr ein Ruck durch meine Brust, den ich nur mit ebenjenem Wort beschreiben kann: zärtlich . Ein Bild von Fiona flackerte in meinem Gehirn auf: auf der Bosporus-Fähre, unter den glühenden Strahlen der Sonne, wie sie sich das Haar aus dem Gesicht streicht. Sogar vollkommen fertig sah sie in diesem Moment unsagbar souverän und würdevoll aus. Ich habe sie geliebt. Ich habe sie wirklich geliebt und mir damals nichts sehnlicher gewünscht, als mit ihr zu verschmelzen. Ihre Abwesenheit in meinem Leben fühlte sich mit einem Mal so an, als wäre ich von innen zerfressen worden. Ich konnte einfach nicht begreifen, wie ich aus Aberdeen – von den Fluren des Studentenwohnheims und meiner Beziehung mit Fiona – in St. Monans, in einem Zimmer mit Tom gelandet war. Vor meinem geistigen Auge flogen in schneller Folge ein paar Gesichter vorbei – Joanne, Bisto, Don, Donna, Charlene –, und ich merkte, dass ich schwer schlucken musste, als im nächsten Moment eine dunkle Erinnerung wie ein brennendes Flugzeug auf mich herabstürzte: Was auch immer der Stift schreibt, kann gelöscht und ungeschehen gemacht werden. Nicht so aber das, was aus unseren dreckigen, ewig schwatzenden Mundwerken kommt. Sie sind es, die unsere Leben mit einem beißenden Rauch vergiften, der sich pechschwarz und unauflöslich auf alles und jeden niedersenkt.
Draußen war das Wetter umgeschlagen. Eine rasende Böe ließ den Regen gegen das Fenster klatschen, und es war fast so, als würde sie damit Einlass begehren. Ich schaute hinaus, aber Tom forderte mich mit einem ungeduldigen Blick auf, fortzufahren.
» Zärtlich ist die Nacht … das war der Roman, über den ich geschrieben habe.« Ich schmückte die Lüge aus, um seine Aufmerksamkeit von diesem Gefühl der Angst abzulenken, das in mir aufgekommen war. »Mein Aufenthalt hier hat mich zu der Erkenntnis gebracht, dass mir die Grundaussage des Buches komplett entgangen war … vielleicht ein wenig so wie F. Scott selbst.«
»Wie meinst du das?«
Und als ich da so saß und mir all diesen Bockmist ausdachte, überkam es mich wie eine Offenbarung: Es war die Wiederholung eines Gedankengangs, der sich bereits während unseres Acid-Trips auf diesem Boot in Istanbul in meinem Hirn breitgemacht hatte – kurz gesagt: der Scheiß, den ich in meinem Essay hätte schreiben sollen. »Fitzgerald dachte, dass er über die Geisteskrankheit seiner Frau schreiben würde. Dabei hat er in Wirklichkeit über seinen eigenen Abstieg in die Welt der durch Alkohol bedingten Besinnungslosigkeit geschrieben. Der zweite Teil des Buches ist im Grunde nichts weiter als das delirante Gelaber eines reichen Typen auf Sauftour.«
WIE KONNTE MIR EINE DERART GRUNDLEGENDE UND OFFENSICHTLICHE TATSACHE NUR ENTGEHEN?!
»Interessant«, sagte Tom und schaute mich mit forschender Miene an. »Kann es nicht sein, dass die Geisteskrankheit seiner Frau einer der Gründe für seinen exzessiven Alkoholkonsum war?«
Ich verstand
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