Skagboys 01
mit der Muttermilch aufgesogenen katholischen Schuldgefühle ließen nicht viel Platz für Wut und Empörung. Eigentlich wäre das die beste Gelegenheit für ihn gewesen, in die Vollen zu gehen und Sick Boy die Fresse zu polieren – entschuldigen würde er sich ja sowieso. Die Chance hatte er jetzt allerdings verpasst. Len ging ihm nach, während Schwester Vierauge uns anstarrte, als würde sie uns mit ihrem Laserblick zum Reden bringen können.
Wir standen nur da und glotzten sie an. »Das is ne Familienangelegenheit, Amelia«, erklärte ich lächelnd. »Ein Leith-Ding sozusagen.«
»Dann lasst es gefälligst auch in Leith!«, maulte sie.
»Nicht so einfach, wenn die halbe Stadt in diesem Laden residiert«, wandte Sick Boy ein. Schwester Vierauge warf uns einen verärgerten Blick zu und stapfte Len hinterher.
Sick Boy schaute den Flur hinunter, der sich entfernenden Blindschleiche nach. »Amelia, Amelia, let me fuckin feel ya«, meinte er mehr zu sich selbst als zu mir. Dabei zog er die Augenbrauen hoch und griff sich in den Schritt. »Schätze, ich könnte sie flachlegen … wenn die Bedingungen nur nicht so ungünstig wären.«
Tag 15
Die Krawall schlagenden Vogelviecher vor meinem Fenster sind ein paar Elstern mit schwarz-weiß-blauem Federkleid, die in einem Baum im Garten nisten. Obwohl ich gerade mal zwei Wochen hier bin, kommt es mir vor, als wären bereits zwei Jahre vergangen.
Meine geschärften Sinne überwältigen mich. Besonders die Gerüche aus der Vergangenheit: das schwere, satte Aroma von Mums Schokokuchen, der scharfe Ammoniakgestank von Klein Davies Pisse, der uns regelmäßig beim Fernsehabend die Tränen in die Augen trieb.
Sick Boy bringt mich echt zum Lachen: Wie der Typ permanent die Klamotten wechselt, ist zum Schießen. Abends wirft er sich in Schale, als würde er in einen Nachtclub gehen, und besprüht sich mit Unmengen Rasierwasser. Tagsüber trägt er Jogginghose und T-Shirt. Wir benutzen beide oft die Waschmaschine. Der Entzugsschweiß macht uns zu schaffen. Nach dem Frühstück hab ich Molly gesehen, wie sie eine Ladung Unterwäsche in die Maschine stopfte. Ich kann sie zwar nicht ausstehen, aber ihr Anblick hat mich derart gefesselt, dass ich sofort in mein Zimmer verschwand und mir einen runterholte. Durch die ganzen eingetrockneten Wichsflecken sieht der Teppich mittlerweile aus wie die glänzende Oberfläche des Murrayfield Ice Rink – das Eishockeystadion von Edinburgh.
Molly ist, genau wie Sick Boy, in der Meditationsgruppe. Unablässig versucht er, ihre Schutzmauer zu durchbrechen. »Nach der Sache mit Brandon bin ich mit den Kerlen ein für alle Mal fertig«, verkündet sie. Er darauf: »Du hast kein Recht, so etwas zu sagen, Molly. Wie alle Menschen hast du ein Herz, eine Seele und eine Gefühlswelt. Du bist ein wunderschönes Mädchen und hast unglaublich viel zu geben. Eines Tages wird der Richtige kommen.« Er schenkt ihr einen Blick, der von ehrenwerten Absichten kündet. Sie kann nicht anders, als sich nervös in die Haare zu greifen und ihn flüsternd zu fragen: »Glaubst du das wirklich?«
»Ich weiß es«, antwortet er mit bedeutungsschwangerer Miene.
Es sind die Gruppensitzungen zur Prozessbegleitung, die mich daran erinnern, warum ich Drogen nehme. Eigentlich sollen wir uns in diesen Sessions darüber unterhalten, wie wir innerhalb des Reha-Zentrums miteinander interagieren. Meistens artet es allerdings in lautstarke Brüllattacken und wüste Beleidigungen aus. Am Ende der Sitzung werden diese »Konflikte« dann durch unaufrichtige Umarmungen – natürlich angestoßen von Tom und Amelia – »gelöst«. Auf gewisse Weise fühlt sich das Theater in den Gruppensessions ein bisschen an wie die Zeit vor der Sperrstunde im Cenny, im Vine oder im Volley.
Das positive Feedback, das wir uns hier gegenseitig geben sollen, ist nicht viel mehr als in Floskeln verpacktes, unrealistisches Wunschdenken, das sich mit hohlen Lobpreisungen abwechselt. Erbärmliches Beispiel: Das Positivste, was Molly während einer dieser theatralischen Versöhnungen zu Johnny einfällt, ist, dass sie sein navyblau-weiß gestreiftes Shirt mag. Ihr Grundproblem mit Swanney ist die Tatsache, dass er ein Dealer ist. Dafür muss er auch heute wieder reichlich Prügel von ihr einstecken. Irgendwann steht er auf und sagt: »Scheiß drauf! Hab echt die Schnauze voll von eurem Mist. Ich gehe jetzt.«
» Ich will gehen bedeutet nichts anderes als ich will wieder Drogen nehmen «, meint Tom zu
Weitere Kostenlose Bücher