Skagboys 01
blickte abwechselnd zwischen den beiden hin und her. Als die Abschiedsumarmungen anstanden, hielt er erst die verängstigte Audrey und dann die überraschte Molly für eine beunruhigend lange Zeit eng umschlungen. Auch Schwester Vierauge konnte sich erst nach einiger Zeit aus seiner Umarmung lösen. Auf dem Weg hinaus standen seine verwirrten Augen voller Tränen. Er drehte sich ein paarmal um und warf den Girls melancholische Blicke zu. Sick Boy stand die ganze Zeit über mit aufeinandergepressten Zahnreihen in der Ecke. Ich kannte den Ausdruck in seiner Visage nur allzu gut und wusste genau, dass der Wichser wieder irgendeine Nummer abgezogen hatte.
Draußen fuhr ein Taxi vor, in dem Spuds Mutter Colleen saß, um ihren Sohn abzuholen. Ich erschauderte innerlich unter ihrem anklagenden Blick. Von der Türschwelle aus winkte ich Spud nach, als das Taxi auf dem Kieselsteinweg davonfuhr und er mit traurig verwirrtem Blick durch die Rückscheibe schaute. Kaum war das Taxi verschwunden, zog mich Sick Boy in sein Zimmer. Er krümmte sich vor Lachen. Sein Gesicht war derart verzerrt, dass er kaum in der Lage war zu sprechen. »Hast du … hast du sein Gesicht gesehen? Hast du seine Visage gesehen?! Meine Fresse … hast du ihn gesehen … wie er die Perlen angestarrt hat? Mit diesen großen, traurigen Welpenaugen? Wie er sie festgehalten und sie verzweifelt umklammert hat?« Als er erneut in einem wiehernden Gelächter explodierte, begann ich langsam zu verstehen.
»Ich hab ihm was ganz Besonderes in die Karte geschrieben: ›Ich vermisse Danny, weil … er der süßeste Junge auf der Welt ist und ich mich in ihn verliebt habe.‹ Der Typ denkt jetzt, es ist eine der Perlen gewesen! Volltreffer, Alter! Volltreffer! Der Anblick dieser beknackten Visage ist nicht mit Gold aufzuwiegen!«
Ich konnte nicht anders, als in sein Gelächter einzustimmen. Der arme Spud. »Du verdammter Bastard, Si … der Ärmste wird durchdrehen …«
» Positive Bestätigung der anderen Gruppenmitglieder , Mann! Darum geht es doch hier die ganze Zeit«, brüllte er wieder lachend los.
»Ja, aber in St. Monans gehen wir aufrichtig und ehrlich miteinander um!«, brachte ich eine weitere Reha-Sprech-Floskel an.
»Aye, sicher doch! Manchmal muss man die sozialen Rädchen halt ein bisschen schmieren.«
Als wir anschließend in den Aufenthaltsraum gingen, kicherten wir immer noch wie zwei kleine Jungs. Tom meinte, dass er sich freue, uns in so guter Laune zu sehen.
In der Gruppensitzung zur Prozessbegleitung ging es um die Journale. Tom forderte uns auf, über unsere Einträge zu sprechen, aber natürlich hatte niemand (außer mir) etwas geschrieben. Zumindest meldete sich keiner, um seine Einträge zu diskutieren. Ich auch nicht. Langsam, aber sicher bekam ich allerdings den – einerseits perversen, andererseits gar nicht so abwegigen – Verdacht, dass jeder dieser Ärsche in Wahrheit einen Tagebuchwälzer im Format von Krieg und Frieden in seinem Zimmer hortete.
Eine weitere Enttäuschung für Tom! Beschissener Job, den er da hat. Die Sitzung endete wieder einmal mit gleichgültigem Schulterzucken, nervösem Nägelkauen, schlechten Witzen und selbstgerechten Plattitüden.
Sick Boy und ich hatten eine Idee entwickelt, für die wir die elektrische Schreibmaschine in Toms Büro brauchten. Also fragten wir ihn. »Ich bin jetzt bereit für meine Tagebucheinträge, aber meine Handschrift ist so schlecht«, meinte ich zu ihm. »Kann ich vielleicht die Schreibmaschine benutzen?«
»Natürlich. Kein Problem!«, antwortete er. Wahrscheinlich sorgte die Aussicht auf einen saftigen Seelenstrip des jungen Renton sofort für ein paar ultrasteife Nippel unter seinem Hemd. »Du kannst sie gern benutzen. Ich werde dafür sorgen, dass du nicht gestört wirst!«
Du kannst sie gern benutzen.
Der arme Tom … ich gaukelte ihm vor, dass ein therapeutischer Durchbruch bevorstand, hatte aber zu keinem Zeitpunkt die Absicht, ihn mein Journal oder Tagebuch sehen zu lassen. Vielmehr wollte ich, ermutigt durch Sick Boy, Toms Schreibmaschine dazu benutzen, um endlich Rache an den Currans zu nehmen. Unsere alten Nachbarn aus den Fort Flats hatten nicht nur für diese hässliche Szene auf der Beerdigung von Klein Davie eine Strafe verdient. Auch ihre verunglimpfenden Lügengeschichten über den Renton-Clan mussten geahndet werden. So kramte ich die Briefbögen vom Council Housing Department, dem Wohnungsamt der Stadt Edinburgh, hervor, die ich von Norrie Moyes
Weitere Kostenlose Bücher