Skagboys 01
seine »Tap me, Fix me, 96 me«-Routine auf dem Plan gestanden. Er und Sick Boy hatten sich diese Bezeichnung als zynischen Seitenhieb auf die T-Shirts mit dem abgeschmackten Aufdruck »Wine me, Dine me, 69 me« ausgedacht, die in letzter Zeit die Runde machten. Während der Großteil dieses Landes seine freien Abende mit gutem Essen, ein paar Gläsern Wein und Oralsex verbringen wollte, lautete das Motto für die beiden Kumpels aus Leith eher: Vene aufklopfen, Schuss setzen, danach in das einzige Bett in der Monty Street krabbeln und in 96er-Position (Rücken an Rücken und in entgegengesetzter Richtung) dösen.
Trotzdem ist sie noch da. Von Zeit zu Zeit kommt sie vorbei und bringt Essen, manchmal auch nützlichere Sachen wie Paracetamol. Mit fragiler Ehrfurcht schaut er das neben ihm schlafende Mädchen an – wunderschön, entspannt und zumindest zeitweise unerreichbar für die Dämonen, die sie verfolgen.
Er kann ihr Haar riechen. Der Duft vermischt sich mit weniger angenehmen Gerüchen aus der Matratze unter ihm, die er sich oft mit Sick Boy oder Spud teilt. Er denkt darüber nach, dass Hazel ihn wahrscheinlich so am liebsten hat – ein asexueller Junkie, der keine Bedrohung für sie darstellt. Dann erinnert er sich an diese schreckliche Unterhaltung, just an dem Abend, als er sich nach der Reha das erste Mal wieder zugedröhnt hatte. Wahrscheinlich hätte sie nie was gesagt, wenn er nicht high gewesen wäre.
— Sex ist nicht gut für mich. Es liegt nicht an dir oder an den Jungs im Allgemeinen … es ist nur so, dass … mein Vater … er hat immer …
Obwohl er es lieber nicht getan hätte, hörte er ihre Worte: Aus mehreren Meilen Entfernung drangen die Informationen zu ihm vor, mussten aber erst einige Schalldämpfer passieren, die die Drogen und seine Psyche vor seine Denkzentrale geschaltet hatten. Wieder und wieder sagte er zu ihr: — Es ist okay, Hazel. Es tut mir leid …
— Es liegt nicht an dir. Ich will, dass du das weißt. Ich habe versucht, Gefallen daran zu finden, aber ich schaffe es einfach nicht. Ich sage das bloß, weil ich weiß, dass du auch was mit anderen Mädchen hast.
— Ähm, na ja … nicht wirklich, antwortete er, dankbar dafür, dass sie ihm diese Beichte erspart hatte. Aus ihrem Mund hörte es sich so an, als wäre er ein wahrer Hengst, ein Womanizer wie Sick Boy. Auch wenn er mehr Gelegenheiten hatte als der arme Spud, war das ganz und gar nicht der Fall. An diesem Punkt musste er an Charlene und ihre verhärmten Züge denken, die im krassen Gegensatz zu ihrer extravaganten Lockenpracht standen. Dann an Fiona und diese fettige Stelle auf ihrer Stirn, diesen kleinen Makel, den er so sehr geliebt hatte und der mit dem Ende ihrer Beziehung aus ihrem Gesicht verschwunden war. Daran, wie er zu feige gewesen war, die Liebe anzunehmen, die sie ihm geschenkt hatte.
Ein Feigling und ein verdammter Taugenichts.
— Was ist mit dem Mädchen aus Aberdeen geworden? Ihr beide standet euch doch ziemlich nahe …
— Ach, weißt du … die Drogen, log er. Ein Feigling und ein verdammter Taugenichts. — Sie stand nicht so drauf. Er schaute in Hazels traurige, blassgrüne Augen. Eigentlich sollte man annehmen, dass sie braun waren. Zumindest war er immer dieser Meinung gewesen. Möglicherweise hatte sie den Namen aber ihren Haaren und nicht ihren Augen zu verdanken und war mit einem dichten braunen Schopf zur Welt gekommen. Der Gedanke machte ihn regelrecht krank: Die Mutter, wie sie das Baby dem pädophilen Vater präsentiert und dieser daraufhin sagt: »Sie hat so schönes braunes Haar. Wir sollten sie Hazel nennen.« Renton spürte, wie sich sein Hals zuschnürte. Schnell fragte er sie: — Warum triffst du dich noch mit mir? Ich meine, warum hängst du mit mir rum?
Er sieht, wie ein Lichtstrahl über ihr Gesicht huscht, der zwischen den dunkelblauen und nie wirklich komplett verschließbaren Vorhängen ins Zimmer fällt. Ihre Augen sind geschlossen, ihre kleinen, leicht vorstehenden Zähne glänzen. — Ich mag dich wirklich gern, Mark, hatte sie geantwortet.
— Aber wie kannst du mich mögen?, presste er gequält hervor.
— Du bist ein netter Kerl. Warst du schon immer.
In diesem Moment wurde Renton klar, dass – egal, wie viel Selbstekel man auch verspürte – es immer Menschen geben würde, die sich nicht auf dieses Spiel einlassen. In dieser Nacht sagte er zu ihr: — Schlaf hier bei mir. Ich werde dich nicht anrühren.
Und sie wusste, dass er es so meinte.
Seit
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