Skagboys 01
Bohnensäcken, deren Polystyrol-Innereien auf dem abgelatschten, braunen Teppich wie ein Haufen kleiner Maden aussehen. Kaum hat Renton das Zimmer betreten, schreckt Simon hoch und starrt seinen Kumpel hellwach an. Rasender Wahnsinn tobt in seinen Augen. Er fixiert Renton für eine Sekunde und blafft dann im Befehlston: — Ruf Seeker an!
— Wozu? Damit er mir noch mal die gleiche Scheißgeschichte erzählt wie letzte Nacht?! Renton nimmt seinen Mantel von dem Nagel an der Tür und zieht ihn sich über seine schmerzenden Schultern. Das Elektroheizgerät, das sie sich angeschafft haben, nachdem das Gas wegen unbezahlter Rechnungen abgestellt wurde, hat die ganze Nacht über seine trockene Wärme in den muffigen Raum geblasen. Er zittert trotzdem. — Ruf ihn einfach an!
Sick Boys Aufforderung ist unnötig, denn Rentons mitgenommenes Nervenkostüm gibt dieselbe Parole weitaus effektiver aus. Wie ein Geist schleicht er durch das Zimmer, greift den Hörer und wählt die Nummer. Erleichterung, als Seekers raue Stimme aus der Hörmuschel erklingt. — Aye?
— Seeker? Mark hier. Gibt’s Neuigkeiten?
Ein Geräusch langen Ausatmens am anderen Ende der Leitung. Renton kann förmlich spüren, wie der heiße Atem Seekers aus den Löchern der Hörmuschel aufsteigt und sein Ohr versengt. — Pass auf, Mark, ich hab dir gesagt, dass ich dich anrufe, sobald ich was weiß. Du brauchst keine Angst haben, dass ich dich hängen lasse. Das ist schließlich meine Lebensgrundlage! Momentan gibt es in dieser verfickten Stadt aber kein einziges Gramm. Ist das jetzt endlich in deiner Birne angekommen?
— Aye … sorry, Mann. Ich dachte nur, dass ich dich kurz anklingele …
— Skreel meint, dass es in Glasgow genauso aussieht. Ruf an, wen du magst. Du wirst überall die gleiche Antwort kriegen. Ich sag dir Bescheid, sobald es was gibt. Und jetzt geh mir bitte nicht mehr auf die Ketten, okay, Mark?
— Ja, alles klar. Wir sehen uns.
Ein Klicken in der Leitung, und das Gespräch ist beendet.
Renton wird klar, dass Seeker seinen Plan durchzieht: Er hält sich an das Programm und lässt die Finger vom Junk. Mit der Kohle, die er verdient, zahlt er eine Wohnung auf Gran Canaria ab. Dort will er die Zeit von November bis März verbringen, um seinen Körper vor den erbarmungslosen Angriffen der Winterkälte zu schützen. Seit er die Reha hinter sich gebracht hat, bezeichnet er Skag voller Verachtung als Droge für Schwachköpfe und beschränkt sich darauf, gut geschnittenen Stoff gegen Bargeld an Kerle zu verticken oder im Austausch gegen Ficks oder Blowjobs an Perlen zu verschachern.
Eines Abends war Renton wackligen Schrittes in Seekers Wohnung in der Albert Street gelatscht, um ihm Stoff abzukaufen, und hatte dort überraschenderweise Molly getroffen. Nur mit einem Top und einem ausgewaschenen Unterhöschen bekleidet, hantierte sie in der Küche herum und bereitete Rührei zu. Ihre lebhafte Gereiztheit war verschwunden – verloren an dunklen Orten, die selbst über diese trost- und praktisch leblosen Straßen nicht zu erreichen waren. Sie sah alt und verbraucht aus: Ihr lockiges Haar war durch eine schmierige Substanz zu einer glatten, spannungslosen Frise vermatscht worden, ihr Gesicht blass und verschwitzt, und unter ihren Augen lagen riesige Schatten. Viel mehr als ein schwaches Lächeln brachte sie zur Begrüßung nicht zustande. Als Seeker ihn anschaute, wandte Renton schnell seinen Blick ab, denn er wusste, dass man verschlungen wird, wenn man zu lange in einen Abgrund starrt. Seekers eisigem Lächeln entnahm er, dass dieser nun die Zügel in der Hand hielt. Um Missverständnisse auszuschließen, erklärte sein ehemaliger Fitnesspartner, dass er eine kleine Unterhaltung mit Mollys Ex-Zuhälter/-Dealer/-Freund gehabt hatte und jener nun für ihn arbeiten würde. Sobald seine gebrochenen Wangenknochen geheilt wären.
Seeker wirkte fitter und trainierter als je zuvor. Er tastete Rentons schwindenden Bizeps ab und meinte, dass er die Finger vom Junk lassen und stattdessen wieder zu den Gewichten greifen sollte. Auch wenn er nun ein gern gesehener Kunde Seekers war, wurde Renton das Gefühl nicht los, dass sein persönlicher Fitnessberater enttäuscht von ihm und seiner Drogensucht war und mehr von ihm erwartete. — Mark Renton, sagte Seeker lächelnd, — du bist echt ein eigenartiger Kerl. Bin nie so richtig aus dir schlau geworden.
Wie alles, was aus Seekers Mund kam, vermittelten seine Worte auch dieses Mal eine implizite
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