Skagboys 01
aussteigen und sie zusammenbinden. — Alter, jede Wette, dass die uns hochnehmen, bevor wir irgendwo ankommen, meckert Matty.
Sick Boy schenkt ihm dafür ein herzliches »Fuck you!« in Form des umgekehrten Victory-Zeichens von der Rückbank, während Keezbo wieder einsteigt, den Motor startet und losfährt. Renton merkt, wie die Schweißperlen auf seinem rasierten Schädel und seinem Hals immer größer werden und ihn schon bald wie eine kalte Flasche Bier aussehen lassen. Als sie auf die Ferry Road einbiegen, sehen sie Second Prize, der die Straße hinunterjoggt. Im Van wenden fast alle beschämt ihre Blicke ab. Als der Fußballer gedankenversunken den Wagen passiert, fällt Renton auf, wie gesund und fit ihr Freund aussieht.
Von der Gorgie Road biegen sie in einen Pfad neben einem Stück Industriebrache ein und parken den Van an einer Mauer. Sie können den Lärm des Straßenverkehrs hören, befinden sich aber außer Sichtweite, als sie aussteigen. Renton und Sick Boy krabbeln durch die Hintertüren aus dem Van, jeder der beiden ist mit einer Sealink-Tasche bewaffnet. Renton war seine Tasche neulich abhandengekommen. Glücklicherweise hatte Sick Boy aber während ihrer kurzen Zeit als Sealink-Mitarbeiter einen ganzen Stapel gemopst. In der schwereren der beiden Taschen liegt ein kurzes Brecheisen. Sick Boy wirft einen Blick auf die dicken Holzbretter und entscheidet sich für die Taschen. Er greift sich die von Renton und geht voraus. So müssen Mark und Matty das eine, Keezbo und Spud das zweite Holzbrett schultern. Alle schwitzen, zittern und krampfen, als sie langsam den überwucherten Weg zum Bahndamm entlangkriechen.
— Alter, das ist echt keine gute Idee, mault Matty erneut.
— Dann verrat mir ne bessere, schießt Renton zurück, während sie die Bretter zur abgesperrten Eisenbahnstrecke schleppen.
Sick Boy eilt den anderen voraus am Bahndamm entlang und findet bald ein Loch in dem dichten Flickwerk aus Metall- und Holzzäunen, Gebüsch und Stacheldraht. Er schiebt die Sealink-Taschen hindurch und krabbelt dann selbst hinterher. Nachdem sich die anderen durch das Loch gequetscht haben, halten sie die Ränder hoch, damit auch Keezbo auf die andere Seite robben kann. Matty zuckt heftig zusammen, als er dabei in ein paar Brennnesseln fasst. Er kreischt auf und schaut elend drein, als das Gift der Pflanze seine Finger mit weißen Blasen überzieht. — Verdammte Kackscheiße, Alter!
— Auweia, da hat dich wohl ne Brennnessel erwischt, bemerkt Spud das Offensichtliche. In Matty lodert daraufhin der pure Menschenhass auf, doch schon nach einem kurzen Moment, ist sein Zorn wieder verflogen. Angesichts ihres kleinen Erfolgs wird die Gruppe von einem Gefühl der Euphorie erfüllt, dem auch Matty sich nicht verwehren kann: Sie haben die erste Hürde genommen und sind auf die Eisenbahngleise gelangt! Freudige Erwartung stellt sich ein, als sie im schwachen Licht die von Bäumen und Sträuchern gesäumten Gleise hinunterschauen.
Wie tropfendes Blut aus einer Wunde quälen sie sich langsam auf dem mit grobem Schotter gefüllten Schienenbett entlang. Nachdem sie ein paarmal gestolpert sind, entscheiden sie sich für den leichteren Weg neben den Bahnschwellen. Die sanfte Kurve der Gleise führt ihre achtsamen Schritte in Richtung des vernebelten Ziels am Horizont.
Das Ende der sichtbaren Welt löst sich in Dunkelheit auf, als die Sonne hinter den abgerissenen Mietshäusern und der alten Burg verschwindet. Die kühle Luft scheint ozonhaltiger, und die Abgasleitungen des nahe gelegenen Industriekomplexes kotzen eine konstante Spirale trüben Qualms in den Himmel. Vor ihnen liegt das Werk. Warum hier, fragt sich Renton. Warum in dieser Stadt?
Die Schottische Aufklärung. Man konnte förmlich spüren, wie die Linie von jener international anerkannten Blütezeit der Stadt hin zur Aids-Schleuder Europas direkt durch die Verarbeitungsanlagen und Lagerhäuser hinter diesen aufwendig gesicherten Zäunen verlief. Es war ein ganz besonderes Geistesprodukt Edinburghs, in dem sich Medizin, Erfindungsgeist und Wirtschaft vereinigten: Erwachsen aus den analytischen Geistern der Cullens und Blacks, vorangetrieben durch die Überlegungen der Humes und Smiths … von den Denkübungen und Taten der intelligentesten Söhne der Stadt im achtzehnten Jahrhundert hin zum Elend der armen Hunde, die sich am Ausgang des zweiten Jahrtausends mit Heroin vergifteten.
Ein Zucken fährt durch sein Auge.
Wir in Schottland …
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