Skagboys 01
auf ein paar trostlosen Felsen in der Nordsee. Diese Leute verbringen ihre Tage mit der Suche nach neuen Sündenböcken für die Misere, die sie ihr Leben nennen. Als sie dann auf das Monster stießen, das einmal mein Bruder war, stürzten sie sich sofort auf ihn, als wäre er eine gottgesandte Möglichkeit, ihren Glauben unter Beweis zu stellen, ein Geschenk des Allmächtigen höchstpersönlich. Dabei übersahen sie anscheinend die Tatsache, dass Klein Davie einen Tiefpunkt menschlichen Lebens darstellte, der nur durch die Vereinigung dieser sektiererischen Spastenkonfessionen – in Form eines protestantischen Vaters und einer katholischen Mutter – produziert werden konnte. Denn ganz gleich, welche Farbe die Kittel haben, in die sie sich kleiden, oder welche geschmacklosen Balladen über Loyalität oder Rebellion sie auch singen, unterm Strich sind sie allesamt aus demselben fauligen Holz geschnitzt, entstammen derselben widerwärtigen Idiotenclique.
Ma, Billy und ich … wie wir in der Küche im Obergeschoss unserer Wohnung im Fort zusammen Schokokuchen backen und dabei riesig viel Spaß haben. Dann das Schreien von Klein Davie – aggressiv, fordernd, unseren harmonischen Moment zerstörend. Billy und ich, wie wir sie anschauen, als wollten wir sagen: »Lass ihn doch schreien.« Dann erst bei ihr, danach bei uns die hoffnungslose Erkenntnis, wer wir sind und wo wir sind. Das langsame und ernüchternde Einatmen, gemeinsam, als sie die Treppe hinunterprescht. Unsere Finger, wie sie auf der Suche nach Trost in den Schokokuchenteig eintauchen.
Der Tod von Klein Davie hat mich nicht wirklich mitgenommen oder gar aufgeregt , wie Fi meint. Wenn ich an Davie denke, denke ich nur an das Monströse, an das Groteske. Das Ding war, dass er so aussah wie ich: sandrote Haare, milchweiße Haut, wilde blaue Augen. Ich dachte immer, dass die Leute das nur sagen würden, um mich zu ärgern, aber es war tatsächlich so. Ganz anders Billy: Zur großen Schande des eifrigen Orangeman war er derjenige in unserer Familie, der wie diese untersetzten, schwarzhaarigen Bauernjungen aus dem westirischen Connemara mit ihren buschigen Augenbrauenbalken in den Zechen Midlothians aussah und damit den Papst-Doppelgängern in der Familie meiner Ma ähnelte.
Als kleiner Junge bettelte ich immer förmlich darum, dass Dad mit uns zum Porty-Freibad rausfuhr. Das Portobello-Seebad lag etwas außerhalb von Edinburgh und war selbst im Sommer ein verdammt kaltes Badevergnügen. Ich hasste es. Nicht zuletzt deshalb, weil Billys Stänkereien dort stets ein überraschend hohes psychotisches Niveau erreichten. Trotzdem ertrug ich das Porty tausendmal lieber, als mich der Demütigung auszusetzen, mit Klein Davie, Billy und meinem Dad im Leith Vickie, dem Schwimmbad unseres Viertels, gesehen zu werden.
Es ist die aufgeregte Stimme meiner Ma, die mich aus meinen Gedanken reißt. Sie streitet sich gerade mit Margaret »Bendix« Curran, unserer verbitterten Ex-Nachbarin, die tatsächlich glaubt, dass wir Klein Davie benutzt hätten, um vom Wohnungsamt eine Hütte mit separatem Eingang auf Straßenebene zu ergattern, und ihn anschließend in ein Pflegeheim abgeschoben haben. — Ich sag ja nur, dass da noch andre Leute vor euch auf der Warteliste standen, Cathy …
— Wir haben ihn nie in ein Pflegeheim gebracht! Davie ist im Krankenhaus gestorben!
— Aber jetzt, wo er nich mehr da is, solltet ihr die Wohnung wieder freigeben, giftet die olle Curran und entdeckt just in diesem Moment meinen Kumpel Norrie, der zufälligerweise beim Wohnungsamt arbeitet, unter den Trauergästen. — Was … was macht der eigentlich hier?!, ruft sie entrüstet aus. — Ah, versteh schon. Man muss wohl nur die richtigen Leute kennen!
— Geh mir aus den Augen!, schreit meine Mutter sie an, und sofort sind mein alter Herr und Olly Curran, der dünne Rassist mit seinem Totengräberlook, zur Stelle und werfen sich ins Getümmel. Da ich stets versuche, mich aus den Konflikten anderer Leute herauszuhalten – ich breche lieber selbst einen Streit vom Zaun –, schleiche ich mich zur Bar rüber, wo Spud sich schon angestellt hat, um uns ein Pint zu holen. Als ich ihm dabei zuschaue, wie er versucht, dem Bartender seine Bestellung mitzuteilen, merke ich auf einmal, dass sich von hinten zwei Arme um mich legen. Zuerst denke ich, dass es Fiona ist, aber dann sehe ich, dass sie etwas weiter weg mit ein paar Gästen quatscht. Gerade als ich vermute, dass die besonderen Umstände Hazel
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