Skalpell Nr. 5
Isabella öfter. Ihre Eltern waren bei einer Mehlstaubexplosion auf der Farm im Norden, wo sie gearbeitet hatten, ums Leben gekommen. Dr. Harrigan brachte Isabella die Nachricht bei. Sie wollte die Klinik verlassen und musste festgehalten und ruhig gestellt werden. Sie wurde weggesperrt, und ich hab sie nie wiedergesehen.«
»Weggesperrt?«
»Ja. Auf dem Klinikgelände gab es einen Isolierraum. Lieutenant Lyons wurde oft für längere Zeit dort hineingesteckt. Der Raum war für gewalttätige Patienten gedacht, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass Isabella je gewalttätig war.«
Manny fröstelte. Die wollten vertuschen, was sie mit ihr gemacht haben. »Wissen Sie noch, wer die Anweisung gab, Isabella zu isolieren?«
»Das kann nur einer gewesen sein: Dr. Henry Ewing. Er war der Chefarzt. Ein richtiger Sadist. Die anderen Ärzte hatten alle Angst vor ihm. Heute ist er Chef der Catskill Medical School. Der ist wirklich auf dem Rücken der Menschen, die er gequält hat, bis ganz nach oben geklettert.«
»Und Dr. Harrigan?«, fragte Manny, die sah, dass Jake das Gehörte erst mal verkraften musste.
»Ist kurz danach weggegangen. Er hat Isabella nicht geheiratet, hat sie nicht mitgenommen, dieser miese Hund.«
26
S ie fuhren zurück nach New York, Manny am Steuer. Als sie versuchte, mit Jake zu reden, hob er abwehrend die Hand. »Ich denke nach.«
»Ich gebe ja zu, dass es viel zum Nachdenken gibt, aber gib mir nicht das Gefühl, dass ich bloß dein Chauffeur bin. Würde sich der große Meister bitte dazu herablassen, mir seine Weisheit zu eröffnen?«
Er sah sie an, sein Gesicht war ausgezehrt und grau. So wird er in zwanzig Jahren aussehen, dachte Manny, wenn ich ihn nicht dazu bringe, sich vernünftig zu ernähren und Sport zu treiben, und falls ihn dieser Fall nicht vorher umbringt.
»Ich denke, irgendwas passt da nicht zusammen. Der Pete Harrigan, den Ms. Collier beschrieben hat, ist nicht der Pete, den ich kannte.«
»Er war noch sehr jung damals. Vielleicht ist er einfach nur reifer geworden.«
»So sehr verändert man sich nicht. Ich gebe zu, dass er an diesen Experimenten mitgearbeitet haben muss, dass er vielleicht sogar irgendwie am Tod der Menschen beteiligt war, deren Knochen wir gefunden haben. Möglicherweise dachte er, die Experimente wären notwendig, oder er hatte Angst, seinen Job zu verlieren, oder er war einem neuen Heilmittel auf der Spur – dürftige Entschuldigungen, nicht zu rechtfertigen, aber denkbar. Völlig undenkbar ist dagegen, dass er Isabella de la Schallier so behandelt hätte – sie schwängern und sich dann einfach verdrücken, ohne sich für sie oder das Kind verantwortlich zu fühlen.«
»Männer sind manchmal Arschlöcher«, sagte Manny und dachte an ihre eigenen Wunden. »Zumindest die meisten. Das ist typisch für sie. Andererseits, wenn du dich mit mir –«
»Hör auf. Mir ist nicht nach Scherzen zumute. Ich kannte Pete in- und auswendig. Er war ein anständiger Mensch. Güte war Teil seiner genetischen Ausstattung.«
»Vielleicht hatte er Angst davor, seine Approbation zu verlieren oder ins Gefängnis zu wandern.«
»Kann sein, aber er war auch ein Kämpfer. Wenn er Isabella geliebt hat und sie ein Kind von ihm erwartete, dann hätte er sein Leben riskiert, um sie beide zu schützen.«
Manny warf ihm einen fragenden Blick zu. »Und wieso ist er dann verschwunden?«
Plötzlich setzte Jake sich entschlossen auf, und das Feuer kehrte in seine Augen zurück. »Pete wird es uns verraten.«
Fast wäre sie von der Straße abgekommen. »Was soll das denn heißen?«
»Seit dem Gespräch mit Ms. Collier hab ich mich gefragt, wieso Pete uns keinen Hinweis auf das Baby hinterlassen hat. Er hat dafür gesorgt, dass wir Isabellas Zahnstatus und das Foto aus der Gazette bekommen – um uns zu sagen, dass er und Isabella zusammen waren. Und er hat uns damit gleichzeitig einen Wegweiser zu den Experimenten in der Klinik zugespielt. Ein volles Schuldgeständnis. Aber über das Baby hat er geschwiegen.«
»Vielleicht hat er sich so sehr geschämt, dass er selbst dir das alles nicht beichten konnte.«
»Oder er wollte es nur mir beichten. Er musste damit rechnen, dass noch andere dabei sein würden, wenn ich den Karton mit meinem Namen drauf öffne, Sam oder auch Wally – von dir wusste er natürlich nichts. Aber vielleicht wollte er es nur mir sagen, es seinem besten Freund gestehen und niemandem sonst. Manny, er hat mir irgendwo noch einen weiteren Hinweis
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