Skandal im Ballsaal
mehrere nicht überzeugende Porträts gezeichnet hatte, die er liebenswürdigerweise Phoebe widmete, wurde Edmund ein wenig quengelig, doch lenkten ihn die Ströme von Regentropfen auf der Fensterscheibe ab. Er kniete auf einem Stuhl und berichtete Phoebe über ihren zögernden Lauf, als eine vierspännige Postkutsche die Straße entlangkam und vor dem „Poisson Rouge" hielt.
Edmund war interessiert, aber nicht in dem Maß wie Phoebe, die zum Fenster kam, sobald sie das Klappern der herannahenden Equipage hörte. Es war der Laut, den zu hören sie gehofft hatte, und als die Kutsche still stand, begann ihr Herz vor Erwartung schnell zu klopfen.
Die Tür wurde geöffnet, und eine Gestalt in einem Pelerinenmantel aus grauweißem Wollstoff sprang leichtfüßig herunter, wandte sich mit einem Befehl an den Kutscher und schritt dann in das Gasthaus.
Ein langer Seufzer entrang sich Phoebe; Master Rayne stieß ein durchdringendes Geheul aus, kletterte hastig von seinem Stuhl herunter, stürmte durch das Zimmer und kreischte: „ Onkel Vester, Onkel Vester!"
Edmund gelang es, die Tür zu öffnen, und er schrie noch immer mit schriller Stimme „Onkel Vester", als Sylvester in den Kaffeesalon trat. Er wurde auf der Schwelle aufgehalten, denn jemand umklammerte seine Beine. Als er sich niederbeugte, um sich vom Griff seines Neffen zu lösen, sagte er: „Nun, du lärmender Balg?"
„Onkel Vester, Onkel Vester!", kreischte Edmund.
Sylvester lachte und schwang ihn in die Höhe. „Edmund, Edmund!", spottete er. „Nein, erwürge mich nicht! Oh, du stürmischer Neffe!"
Da er sie noch nicht bemerkt hatte, blieb Phoebe beim Fenster und beobachtete mit einigem Erstaunen Edmunds begeisterten Willkommensgruß für seinen bösen Onkel. Sie war nicht allzu sehr überrascht, obwohl sie nicht erwartet hatte, er würde in so einen Freudentaumel verfallen. Wenn sie etwas erstaunte, war es Sylvesters erfreute Billigung von Edmunds stürmischer Umarmung. Er wirkte durchaus nicht wie ein Mann, der Kinder nicht mochte; und schon gar nicht wie der Mann, der zu ihr auf Lady Castlereaghs Ball so schreckliche Sachen gesagt hatte. Das Bild, das sie so schmerzvoll verfolgt hatte, verblasste, und mit ihm die Verwirrung, die sie seine Ankunft beinahe so sehr fürchten ließ, wie sie sie erhofft hatte.
„Sag dem bösen Mann, dass ich nicht sein kleiner Junge bin!", bettelte Edmund. „Mama sagt, ich gehöre nicht zu dir, Onkel Vester, aber ich gehöre zu dir, nicht wahr?"
Das stieß er so leidenschaftlich hervor, dass Phoebe lachen musste. Sylvester blickte sich rasch um und sah sie. Irgendetwas loderte in seinen Augen auf; sie hatte den Eindruck, er wolle auf sie zugehen. Aber der Blick verschwand, und er tat keinen Schritt. Die Erinnerung an ihr letztes Zusammentreffen kehrte zurück, und sie wusste, dass ihr nicht vergeben war.
Er sprach nicht sofort, stellte aber Edmund nieder. Dann sagte er: „Welch eine Überraschung, Miss Marlow - obwohl ich vermuten musste, Sie hier zu finden, hätte ich mich der Mühe linterzogen, die Sache zu überlegen."
Seine Stimme war glatt und verbarg jede Spur der Gefühle, die in seiner Brust kochten. Es waren deren einige, aber das vorherrschende war Zorn: Über sie, dass sie, wie er annahm, bei der Entführung Edmunds geholfen hatte; über sich selbst, dass er einen unbedachten Augenblick lang so übermäßig erfreut war, sie zu sehen. Das erzürnte ihn derart, dass er die Lippen nicht öffnen wollte, bis er sich in der Gewalt hatte. Er hatte seit der Ballnacht versucht, jeden Gedanken an sie aus seiner Erinnerung zu verbannen. Das war nicht möglich gewesen, aber wenn er über das Unrecht, das sie ihm zugefügt hatte, nachdachte, hatte er angenommen, er wäre wenigstens von der höchst törichten Zärtlichkeit für sie geheilt. Es war eine leichte Aufgabe gewesen, sich bloß an ihr schändliches Betragen zu erinnern, denn die Wunde, die sie ihm zugefügt hatte, konnte nicht vergessen werden.
Sie hatte ihn dem Spott der Welt preisgegeben: das an sich war eine Beleidigung, doch wenn das Bild, das sie von ihm gezeichnet hatte, nicht wiederzuerkennen gewesen wäre, hätte er ihr vergeben können. So hatte er gedacht, aber als er sich an seine Mutter wandte, die ihm das Buch zum Lesen gegeben hatte - gewillt, es mit einem Achselzucken abzutun und ihr zu sagen, es sei zu albern, um der Empörung eines Augenblickes wert zu sein -, sah er in ihrem Gesicht nicht Empörung, sondern Kummer. Er war so entsetzt
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