Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
Mal, sondern ergeben. Eine Segnung, stellte Mary fest. Sie verschränkte ihre Finger mit seinen und lauschte, ob er noch etwas sagen würde. Nur ein ganz leises Seufzen von seinen Lippen. Und dann war er still.
Mary sah ihn mit angehaltenem Atem an. Wartete, ob ein Todeskampf einsetzen würde oder ob er Kraft sammeln würde für etwas, was sie keinesfalls verderben oder unterbrechen wollte. Eine Minute verging. Fünf. Seine kalte Hand wurde noch kälter, aber sie konnte sich nicht dazu durchringen, ihn loszulassen.
Erst als sie ein respektvolles Hüsteln hinter sich hörte, bemerkte sie, dass der Wärter – der ursprüngliche Wärter – wieder da war. Hinter ihm stand ein gereizt wirkender Mann mit einem abgewetzten Arztkoffer. Sanft legte sie Langs Hand auf seine Brust. Erhob sich. Stellte erschrocken fest, dass sie nicht weinte und völlig taub war.
»Er ist tot«, sagte sie, ohne jemanden im Besonderen anzusprechen.
Der Arzt runzelte die Stirn, drängte sich an ihr vorbei und schmiss seine Tasche unwillig auf den Boden. »Das werde ich beurteilen, Miss.«
Mary trat zur Seite. Sah den Wärter an. »Wie heißen Sie?«
»Baxter, Miss. Ich meine, Ma’am.«
»Baxter. Ich kümmere mich um die Beisetzung. Lassen Sie ihn von niemandem abholen.« Sie steckte ein paar Münzen in die schlaffe Hand des Mannes und ging an ihm vorbei. Diese segensreiche Taubheit würde bestimmt nicht anhalten. Aber sie würde sie sicher nach Hause bringen – wo auch immer das sein mochte.
Vor dem Tower fand sie ohne große Mühe eine Droschke und stieg ein.
»Wohin, Miss?«, fragte der Fahrer ungeduldig. Es war eine kalte Nacht und sein Pferd ließ im Nieselregen kläglich den Kopf hängen.
»St. John’s Wood. Nein – Limehouse.« Als die Droschke umständlich wendete, rief sie in Panik: »Ich habe mich umentschieden – doch St. John’s Wood.«
Der Kutscher fluchte vor sich hin. »Sind Sie sicher, Miss? Ich hab nicht die ganze Nacht Zeit.«
Sie war sich überhaupt nicht mehr sicher, über gar nichts. Doch der Kutscher wartete. »Ja. Acacia Road.« Für eine letzte Nacht.
Vierunddreißig
Freitag, 17. Februar
Buckingham-Palast
E ine Audienz bei der Königin. Eine Audienz bei der Königin. Die Worte hallten im Takt mit Marys Schritten durch ihren Kopf, als sie der neuen Hofdame zwei Stockwerke über die mit Seidenläufern bedeckten Stufen folgte. Erst als sie an diesem Morgen mit leer geweinten Augen aufgewacht war, hatte sie wieder an den Brief in ihrer Handtasche gedacht. Es war ein kurzes Schreiben, ausgesprochen förmlich, unterzeichnet vom Sekretär der Königin. Es forderte sie zu einem Treffen mit Ihrer Majestät um zehn Uhr an diesem Morgen auf. Mary war zwar nicht gespannt, doch sie folgte der Einladung, weil ihr kein Grund einfiel, warum sie nicht hingehen sollte.
Hier im Palast war nichts von Honoria Dalrymple zu sehen und ihr Name fiel nicht. Und die neue Hof dame , eine stämmige Frau mittleren Alters mit einem Kleid wie von einem Pariser Modebild und dem Gesicht von einem Marktweib, machte den Eindruck, als kenne sie sich im Palast bestens aus. Dieses Erlebnis,zusammen mit der neuen Erfahrung, auf einem Läufer mitten durch die von Kronleuchtern erhellten und mit alten Gemälden bestückten Korridore des Palastes zu gehen, ließ die vergangenen sechs Wochen von Marys Leben wie eine seltsame Halluzination wirken. Nur der verblüffte Ausdruck des Pförtners bestätigte, dass Mary ihre Zeit sonst im Dienstbotenbereich zugebracht hatte.
Sie wurde nicht in einen der offiziellen Empfangs salons geführt, sondern in den Privatsalon Ihrer Majestät – ein Raum, den sie gut kannte, auch wenn sie ihn bisher immer nur mit einem Teetablett in Händen betreten hatte. Die Hofdame blieb vor der Tür stehen. »Ein paar Ratschläge in Bezug auf Ihr Verhalten, Miss Quinn. Man nähert sich Ihrer Majestät mit gesenktem Blick und macht am Ende des türkischen Teppichs den Hofknicks. Man erhebt sich erst, wenn man dazu aufgefordert wird. Man redet die Königin mit ›Euer Majestät‹ oder ›Ma’am‹ an. Wenn man wieder geht, wendet man ihr nicht den Rücken zu, sondern verlässt den Raum rückwärts.«
Mary widerstand der Versuchung zu antworten:
Man dankt für die Ratschläge
. Eine Augenblick später ging die Tür auf und sie verhielt sich den Anweisungen entsprechend. Als sie den Rand des besagten Teppichs erreichte und tief knickste, sagte die Königin: »Kommen Sie näher, Miss Quinn.«
Sie trat
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