Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
kriminellen Vergangenheit berichtete – hatte sie sich geschworen, ihn sich aus dem Kopf zu schlagen. Das war es, was sie Anneund Felicity unterbreitet und sich fest vorgenommen hatte. Doch auf einmal war er wieder da. Sie musste sich mit ihm auseinandersetzen, schon im Interesse der Agentur. Oder nicht? Sie hatte während der vergangenen sieben Monate viel gelernt und sich verändert. Spürte die Narben, die er hinterlassen hatte, kaum noch. Oder doch?
»Was geht in dir vor?«, fragte Anne plötzlich. »Für dich steht mehr auf dem Spiel als die Belange der Agentur.«
Anne war der Wahrheit erschreckend dicht auf der Spur. Mary unterdrückte die aufsteigende Angst in ihrer Brust und zwang sich zu antworten. »Eine neue Agentin einzusetzen, würde die Agentur mindestens um einige Wochen zurückwerfen«, sagte sie langsam. »Aber Sie haben recht. Unter den gegebenen Umständen mache ich mir Sorgen, dass der Angeklagte, weil er Asiat ist, möglicherweise Opfer eines übereilten Schauprozesses wird. Der Königin und dem Prinzgemahl scheint es in diesem Fall weniger um die Wahrheit zu gehen, sondern mehr darum, ihren Sohn zu beschützen. Das ist verständlich, aber keinesfalls gerecht. Wenn ich im Palast bleibe, bin ich vielleicht in der Lage, Informationen zu sammeln, die ein klareres Licht auf die Rolle dieses Mannes im Zusammenhang mit dem Tod von Beaulieu-Buckworth werfen.«
Sowohl Anne als auch Felicity hörten zu: nachdenklich, ernsthaft und geduldig. Sie hatten ihr Geplänkel vergessen und hörten nur auf sie – etwas, dassie immer gut gekonnt hatten. Anne starrte ins Feuer, dessen Flammen sich hell in ihren Brillengläsern spiegelten. Felicity konzentrierte sich ganz auf Mary. Ein unergründlicher Ausdruck lag auf ihrem schönen Gesicht.
Mary zwang sich, nicht schon wieder rot zu werden, obwohl sie merkte, wie ihr das Blut vom Nacken in die Wangen stieg. Niemand kam jemals darauf, dass sie chinesisch aussah; zumindest die Europäer nicht. Bisweilen wurde sie von Chinesen neugierig beäugt, die ihr Geheimnis zu ahnen schienen. Aber meistens ging Mary als leicht exotisch aussehende Engländerin durch. Wer sie nicht kannte, fragte sie bisweilen, ob sie französisches, spanisches oder portugiesisches Blut in den Adern hätte. Aber ihre Antwort – »der schwarzhaarige irische Typ« – stellte immer zufrieden, fast immer. Sie hoffte, dass es so bleiben würde, vor allem gerade jetzt. »Das sind die Prinzipien, die Sie mir beigebracht haben, die Bedeutung von Gerechtigkeit und dass selbst die eine zweite Chance verdienen, die niemals eine erste Chance hatten. Wegen den Dingen, die ich von Ihnen gelernt habe, muss ich an dem Fall dranbleiben.«
Ein Augenblick verging.
Felicity blinzelte.
Anne lächelte. »Du hast die Lektionen der Akademie gut verinnerlicht, meine Liebe. Die Menschen am Rand – ob es sich um Kinder, Frauen oder Ausländer handelt – sind in unserer Gesellschaft immer benachteiligt. Es ist löblich, dass du weiter ermittelnwillst, und ich halte deinen Grund für ausreichend zwingend, dass du an dem Fall dranbleibst.«
»Danke, Miss Treleaven. Könnte mir die Agentur auch einige Informationen über Ralph Beaulieu-Buckworth zur Verfügung stellen? Ich glaube, etwas Hintergrundwissen könnte von Nutzen sein. Zum Beispiel zu wissen, mit wem er verwandt ist. Die ganzen Adelsfamilien sind doch miteinander verwandt. Womöglich ist er mit der königlichen Familie verwandt, um viele Ecken, meine ich.«
Felicity nickte. »Das ist zwar nicht ganz einfach, aber doch möglich.«
»Danke.«
»Aber um auf den ursprünglichen Fall zurückzukommen«, begann Anne. »Gibt es da irgendwas zu berichten?«
»Nein, Miss Treleaven.«
Anne zog leicht die Augenbrauen hoch. »Immer noch nichts?«
»Die Angestellten des Palastes sind, um Gerede zu unterbinden, überhaupt nicht über die Diebstähle in Kenntnis gesetzt worden. Mir ist keiner aufgefallen, der sich verdächtig verhalten hat oder in Geld schwimmt. Bis der Dieb wieder zuschlägt, kann ich nichts tun, als die Augen offen zu halten.«
Anne nickte. »Ich verstehe. Tja, vielleicht wird der Dieb ja wieder mutiger, wenn noch etwas Zeit verstreicht. Sonst bleibt der Fall womöglich ungelöst.«
»Hoffentlich nicht«, murrte Felicity. »Das wäre sehr unbefriedigend.«
»Und außerdem schlecht für unsere Statistik.« Die beiden Leiterinnen lächelten sich flüchtig zu und Mary verspürte eine Welle der Erleichterung. Anne und Felicity
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