Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
nicht so beschaffen, dass es einen Besucher einschüchterte – abgesehen von dem Wissen, was hinter der Tür wartete. Mary verließ die Droschke, die einladend am Straßenrand stehen blieb, und klopfte an die Haustür. Das erledigte sie so schnell, dass sie nicht mehr weglaufen konnte – auch wenn der Ausdruck der Haushälterin, als diese die Tür öffnete, diese Option nahelegte.
»Miss Quinn.«
Mary holte tief Luft und trat in die Diele. Jetzt gab es kein Zurück mehr. »Mrs Vine. Ist Mr James Easton zu Hause?«
Mit verkniffenen Lippen führte die Haushälterin Mary in den Frühstücksraum, in dem das Feuer bereits erloschen und die Lampen gelöscht waren. Sie schloss die Tür mit einem entschiedenen Schnappen. Mary war sicher, dass es andere, anheimelndere Zimmergab, wo man einen willkommenen Besucher hätte warten lassen, aber ihr machte es nichts aus. Immerhin war sie nicht an der Tür abgewiesen worden. Sie blickte hinaus auf den Vorgarten und bemühte sich um heitere Gelassenheit.
Ungefähr eine Minute später ging die Tür mit einem erneuten Klicken auf, und eine nur allzu vertraute Stimme sagte: »Bist du das, Mary? Warum versteckst du dich hier in der dunklen, kalten Ecke?«
Sie brachte kein Wort heraus; der Laut, der ihr ganz oben in der Kehle saß, war ein Schluchzen, das sie keinesfalls herauslassen durfte. Das Beste, was ihr gelang, war ein schwaches Schulterzucken.
Er sah … fantastisch aus. Einmal, weil er James Easton war, klug, ironisch, direkt, und bei Weitem der interessanteste Mann, den sie je kennengelernt hatte. Aber vor allem, weil er wieder gesund zu sein schien. Das malariageschüttelte Skelett ihrer letzten Begegnung war Geschichte. Er hatte dringend benötigtes Gewicht zugelegt; seine Züge waren markant, jedoch nicht mehr so hohl. Und selbst in diesem Dämmerlicht sah er erstaunlich gut aus. Nein, mehr als gut.
Sie räusperte sich. »Danke, dass du gewillt bist, mich zu sehen«, sagte sie so steif wie möglich.
»Dabei kann ich dich eigentlich gar nicht sehen. Komm ins Arbeitszimmer. Ich weiß überhaupt nicht, warum dich Mrs Vine hier reingeführt hat.«
Mary wusste es dagegen sehr wohl. Doch sie wusste auch, dass sie James nicht in die Augen sehen oder das heftige Erröten kontrollieren konnte, das ihrin die Wangen stieg, als er sie auf dem Weg ins Arbeitszimmer streifte. Hier prasselte ein fröhliches Feuer und das Gaslicht ließ die Tischplatte aus Kirschbaumholz schimmern. Trotzdem fröstelte sie.
»Ist dir kalt?« Ehe sie etwas erwidern konnte, wandte er sich dem Feuer zu und legte zwei Scheite über die hellen Flammen.
»Danke.«
Er wischte die Hände aneinander ab und sah sie mit seinen dunklen Augen forschend an. »Du hast dich doch schon bedankt.«
Sie versuchte es mit einem kleinen Lächeln. »Höflichkeit hat noch nie geschadet.«
Der Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen. »Zumindest für uns ist es neu.«
Uns
. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das deuten sollte. »Du siehst sehr wohl aus«, sagte sie, dann zuckte sie innerlich zusammen: Sie klang wie eine besorgte Mutter.
»Du auch.«
Lügner
. Sie sah ihr winterlich kalkiges Gesicht vor sich, mit dunklen Schatten unter den Augen, und ein paar wirre Locken, die ihr immer aus dem fest geschlungenen Knoten rutschten. »Äh –« Sie wollte sich nicht schon wieder bedanken, aber sie konnte doch nicht so direkt mit ihrem Anliegen herausplatzen.
Er sah sie noch eine Weile an, dann stieß er unwillig die Luft aus. »Mary, sind wir nicht längst über solches Geplänkel hinaus?«
Sie sah ihn erschrocken an. »Du hast recht.«
»Ganz zu schweigen davon, dass du ziemlich schlecht bist darin.«
»Nur bei dir.«
Nun lächelte er und sein Gesicht strahlte vor Glück. »Es ist wirklich ein Vergnügen, dich zu sehen.«
Ihr stockte der Atem. »Ebenfalls.« Ein Vergnügen, das war das richtige Wort: Allein ihn anzusehen, machte sie ganz schwach. Sein dunkles Haar, meistens kurz geschnitten, war gerade so lang, dass es etwas verwegen wirkte; es schien leicht wellig zu sein, und sie hatte das Verlangen, mit den Fingern durchzufahren, seine Züge mit den Fingern nachzuzeichnen: Er war glatt rasiert, ganz entgegen der Mode. Wenn sie ihn so ansah, verstand sie nicht, warum sich Männer überhaupt einen Bart stehen ließen. Der Himmel allein wusste, wie lange sie ihn mit unverhohlenem Verlangen angestarrt hatte, als sich die Tür ganz plötzlich öffnete und Mrs Vine erneut erschien.
»Soll ich
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