Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
etwas Mitleid mit der Königin. Monarchin, Staatsoberhaupt, Herrscherin über ein Weltreich – und Mutter eines weichlichen, umtriebigen Erben, der in einen skandalträchtigen Mord verwickelt war, bei dem es um nicht weniger als die Frage nach Recht und Gerechtigkeit ging.
Ein paar abhanden gekommene Ziergegenstände waren wohl die geringste Sorge Ihrer Majestät.
Dreizehn
M rs Shaws Einschätzung von Marys moralischem Verhalten sank bis zum Mittagessen noch weiter. Jeden Tag, wenn die königliche Familie ihr Mittagsmahl beendet hatte, versammelten sich die Dienstboten unten zu ihrem Essen – eine warme Mahlzeit, die selbst gemessen an den Standards des Palastes reichhaltig war und von der die Armen draußen in der Stadt nicht mal träumen konnten. Heute ließ sich Mary auf ihrem Platz am Tisch nieder und merkte, dass sie von mindestens einem halben Dutzend anderer angestarrt wurde. Sie waren ihr so gut wie fremd und verlegen nickte sie ihnen zu. »Hallo.«
»Na los, mach’s auf!«, sagte eines der Zimmermädchen, eine rotwangige Frau namens Sadie. Ihr prachtvolles rostbraunes Haar wurde von ihrer Haube nur unzureichend bedeckt. Auf Marys Platz lag ein Briefumschlag, größer als ihr Teller und beschrieben mit einer angeberisch gestelzten Handschrift, die sie nicht kannte.
»Wir wussten ja gar nicht, dass du einen Liebsten hast«, sagte Amy quer über den Tisch. In ihrer Stimme schwang Unmut mit, und Mary fiel auf, dass der Umschlag auf Amys Teller viel kleiner war. Sie hatte ihn schon geöffnet.
»Hab ich nicht«, erwiderte Mary. Sie betrachtete den Umschlag argwöhnisch.
»Na los, ich platze vor Neugier!«, quietschte Sadie. »So was Großes hab ich noch nie gesehen!«
»Sadie, Süße«, näselte einer der Lakaien. »Das hast du gestern Abend auch zu mir gesagt.«
Sadie schnaubte abfällig. »Das musst du wohl geträumt haben, du alter Kröterich.« Darüber brachen die anderen Diener in brüllendes Gelächter aus, wurden allerdings von dem obersten Butler schnell zum Verstummen gebracht.
Mary nahm die Valentinskarte und hielt sie so, als könne sie ihr jeden Moment die Finger verbrennen. Sie spürte den verdrießlichen Blick von Mrs Shaw auf sich. Konnte sie sich nicht unsichtbar machen?
»Na los!«, kreischte ein anderes Dienstmädchen. »Sie wird dich schon nicht beißen.«
Mary riss den riesigen weißen Umschlag auf. Unter dem Gejohle einiger Mädchen zog sie die auffälligste Valentinskarte hervor, die sie je gesehen hatte: ein buntes Gebilde aus Spitze, Federn, Seidenbändern und Farben, zu einem kunstvollen Herz zusammengefügt. In das Herz hineingekritzelt stand: »Von einem heimlichen Verehrer«.
»Meine Güte, so ein Knaller!«, entfuhr es Sadie, die ehrfürchtig die Hand vor den Mund hielt.
Amy rümpfte die Nase. »Das muss einen hübschen Penny gekostet haben.«
»Penny – das reicht nicht!«, warf eine andere ein. »Das alles hat samt Papier und Spitze mindestens vier Schilling gekostet!«
Mit einem Blick nach unten entdeckte Mary einen zweiten Brief auf ihrem Teller: einen kleinen, völlig schlichten, den sie schnell in die Tasche schob. Endlich eine Nachricht aus der Agentur. Glücklicherweise war die Aufmerksamkeit der Dienstmädchen ganz auf die Valentinskarte gerichtet.
»Wer ist denn nun dein Verehrer?«, seufzte eine andere. »Und wie hast du dir so einen reichen Kerl geangelt?«
Mary schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen.« Ihr Leugnen klang steif und unglaubwürdig, selbst in ihren eigenen Ohren. Diese auffällige Valentinskarte bedeutete mit Sicherheit nichts Gutes. Trotz ihrer Verärgerung über James konnte sie sich nicht vorstellen, dass er sie so verspotten würde – dass er ungewollte Aufmerksamkeit auf sie lenken und sie unangenehmen Fragen aussetzen würde. Außerdem war er ja wohl inzwischen anderweitig beschäftigt. Er hatte nicht viel Zeit verschwendet. Gleich nachdem er sie so stürmisch in seinem Arbeitszimmer geküsst hatte, flirtete er mit dieser jungen Dame in seinem Salon. Mary schluckte heftig und sah Sadie an. »Ich weiß nicht, von wem sie ist.«
Sadie griff über den Tisch, riss ihr die Karte aus der Hand und las sie selbst noch einmal. Mit großen Augen entzifferte sie die Handschrift. »Meine Güte! So eine tolle Karte von jemand, der zu schüchtern ist, seinen Namen drunterzusetzen!«
»Er muss ja irre in dich verliebt sein«, sagte ein mageres kleines Mädchen, das Mary nur von den Mahlzeiten kannte. »Oh Mann. Wie toll das sein
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