Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
in deinem
Duft zu schwelgen, dich zu schmecken, die Berührung deiner Hand zu spüren. Ich bin sogar froh, mit dir gestritten zu haben, denn selbst im Augenblick unserer Auseinandersetzung waren wir zusammen.
Mary, du bist die außergewöhnlichste Frau, die ich
kenne: intelligent, mutig und ehrlich, und ich sehne mich nach deiner Freundschaft. Ich muss zugeben, dass ich nur eine vage Vorstellung davon habe, weil ich bisher noch nie mit einer Frau befreundet war. Meine Freunde sind Männer und unsere Freundschaften sehr konventionell – ganz nett und gleichförmig. Eine Freundschaft mit dir hingegen wäre etwas Leuchtendes, Neues, Rares – wenn du mir die Ehre erweisen würdest.
Ich erwarte nicht, dass meine Bitte erfüllbar ist. Aber
es ist schön, davon zu träumen, Mary, und daher stelle ich eine letzte unverschämte und unverzeihliche Bitte: Schreibe mir nur, wenn du Ja sagen kannst.
Dein James
Mary las den Brief dreimal. Ihre Finger zitterten, während sie das Blatt hielt. Er hatte Verlangen nach ihr, sehnte sich nach ihr, träumte von ihr – Wörter, die sie niemals mit James in Zusammenhang gebracht hätte. Doch noch während sie vor Seligkeit schwebte, machte sich Enttäuschung in ihr breit. Gewann die Oberhand.
Es war ein schönes, verrücktes, schmeichelhaftesund beleidigendes Schreiben. Keine Entschuldigung – so typisch für James. Eine ungeheure Bitte, so unbefangen gestellt – ebenso typisch. Und was am wichtigsten war, kein Wort von dem verdammten Mädchen in dem blauen Kleid. Trotzdem schmolz sie dahin, was vielleicht das Schlimmste dabei war. War sie so anfällig für ihn, so ganz ohne Stolz, dass sie zurückgelaufen kam, wenn er nur den kleinen Finger hob? Sie konnte nicht länger sitzen bleiben. Während sie zum Palast zurückkehrte, zwang sie sich, über eine Reaktion nachzudenken.
Sie sollte den Brief zerreißen und die Sache vergessen.
Unmöglich.
Sie sollte ihn zurückschicken, wie es Lang Jin Hai mit ihrem Brief gemacht hatte.
Sie hatte das Siegel bereits aufgebrochen.
Sie konnte so tun, als hätte sie ihn nie erhalten, und nicht mehr daran denken …
Aber wie sollte sie ihn das wissen lassen? Wenn er nichts von ihr hörte, würde James annehmen, dass sie zu verletzt, zu zartbesaitet war, um Kontakt mit ihm aufzunehmen. Zum Teufel mit seinem verdammten, grenzenlosen Egoismus.
Andrerseits – letzte Nacht hatte sie noch überlegt, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Sie brauchte seinen Sachverstand oder zumindest seine Pläne der Kanalisation. Und zum ersten Mal, seit sie den Palast verlassen hatte, spielte etwas wie ein Lächeln um ihre Lippen. Das war es. Genauso, wie sie mit OctaviusJones umgesprungen war – und genauso, wie sie die Frage ihrer Verwandtschaft mit Lang Jin Hai klären würde –, würde sie mit einem weiteren allzu selbstgewissen Mann fertig werden.
Auf dem Weg in den Palast ließ sie die Fetzen der Abweisung ihres Vaters in den See fallen. Zunächst trieben sie auf der Oberfläche, dann sogen sie sich voll und sanken im trüben Wasser.
Und das war irgendwie sehr passend.
Fünfzehn
Derselbe Tag, 23 Uhr 15
Dienstboteneingang, Buckingham-Palast
O bwohl die üblichen Bedürfnisse der königlichen Familie ihren restlichen Tag beanspruchten, fand Mary die Zeit, eine kurze Nachricht zu schreiben und abzuschicken, die sie im Geist formuliert hatte, als sie den Nachmittagstee servierte. Sie wollte, dass sie knapp ausfiel, aber auch kühl und unbeteiligt klang, ein bisschen zweideutig und unverfroren. Nach langem Überlegen schrieb sie Folgendes:
Lieber James,
ich hoffe, du empfindest diese Nachricht nicht als Zumutung nach unserer letzten Unterhaltung, die ich in Teilen aufrichtig bedaure. Ich habe kürzlich etwas über das Abwassersystem des Palastes in Erfahrung gebracht, was dich im Hinblick auf deine Arbeit interessieren könnte. Hast du Zeit, mich heute Abend zu treffen? Nach elf Uhr würde es mir passen.
Freundliche Grüße
Mary
Seine Antwort, die abends unter den befremdeten Blicken von Mrs Shaw per Post kam, war beinahe zu perfekt:
23:30 am Betriebseingang.
J.
Jetzt lungerte sie in dem kühlen Innenhof herum und hielt nach Octavius Jones Ausschau. Obwohl sie wusste, was sie zu erwarten hatte, musste sie doch über beide Wangen grinsen beim Anblick der großen, linkischen Gestalt in Dienstmädchentracht, die da mit einem verstohlenen Blick auf dem Gesicht durch den Hof tapste. Als er sie
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