Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
auch wunderbar funktioniert.«
»Es war aber die richtige Vorgehensweise«, wehrte er sich. »Was hättest du denn gemacht – erst auf ihn losgehen und später Fragen stellen?«
»Halt mal still – sonst fängt die Wunde wieder zu bluten an.« Sie beendete ihre Arbeit und nahm den größten Glassplitter, ein unregelmäßiges Dreieck von der Größe eines Fingernagels, leicht rot gefärbt. »Schau mal.«
»Und?«, fragte er mit übertriebener Geduld.
Sie hielt ihn an die Innenbeleuchtung. »Da. An der Kante.«
»Ich sehe nichts – ach so.« Die leichte Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich etwas. »Ist das eine Gravur?«
»Ja.« Ihre Augen funkelten vor Aufregung. »Statt einer Schiffslaterne hat er eine Öllampe mit geschliffenem Glas benutzt. Ziemlich teures Ding für einen Kanalräuber, meinst du nicht auch?«
»Wirklich seltsam. Könnte aber Diebesgut sein. Vielleicht hat er es sogar selbst geklaut.«
»Für diesen Zweck, meinst du? Würde man dann keine praktischere aussuchen – eben eine Schiffslaterne?«
»Was willst du andeuten, Mary?«
»Ich glaube, unser Eindringling ist kein gewöhnlicher Dieb. Wie du schon sagtest, er müsste den Gezeitenplan kennen und geeignete wasserfeste Kleidung haben. Aber er hatte nicht die richtige Laterne. Ich wette, er hat einfach die nächstbeste genommen.«
»Er kommt also mindestens aus der Mittelschicht.«
»Mindestens. Er hatte einen Stocherkahn, und wie er den Kahn gestakt hat, war auch aufschlussreich: Er war auf jeden Fall nicht geschickt genug, um ein Flussschiffer zu sein.«
»Das trifft auf den größten Teil der Londoner Bevölkerung zu.«
Mary ärgerte sich über seine Einwände. Da war etwas … ein Gefühl … ein Detail, das sie nicht genau benennen konnte. Sie schloss die Augen und rief sichdas Bild des Mannes vor Augen, wie er den Kanal entlang auf den Fluss zustakte. Wachsam. Im Bewusstsein, dass sein Plan durchkreuzt worden war. Seine Lehren daraus ziehend. Und plötzlich hatte sie es. »Es ist seine Haltung – er war so konzentriert und zielgerichtet. Fast militärisch.«
James schnaubte. »Ein abtrünniger Offizier, der den königlichen Palast einnehmen will?«
Mary blieb ernst. »Gibt es ein Gesetz, dass Verbrecher immer arm sein müssen? Vielleicht ist er auch gar kein Krimineller; vielleicht war sein Vorhaben ganz harmlos und er ist einfach in Panik geraten, als er auf uns gestoßen ist.«
»Hmm. Ich nehme eher an, dass sich ein adliger Kanaleindringling in Zusammenhang mit deiner Hofdame bringen ließe … Wie heißt sie?«
»Honoria Dalrymple.«
»Na gut. Dann waten also deiner Theorie nach zwei Aristos durch die Kanäle … von denen einer der Verursacher dieses ganzen Schlamassels sein könnte. Aber wozu?«
Sie seufzte. »Keine Ahnung. Wobei einer oder besser eine ja mehr als reine Theorie ist.«
»Dann konzentrieren wir uns mal besser auf sie.«
Sie sah ihn erschrocken an. »›Wir‹?«
Er schenkte ihr sein gewinnendstes Lächeln. »Du kannst ja ablehnen, wenn du willst.«
Kostbare Minuten tickten vorüber, während sie mit sich kämpfte.
Das konnte sie nicht.
Durfte sie nicht.
Sollte sie lieber nicht.
Andrerseits war es sinnvoll. Er hatte das Recht, die Abwässerkanäle zu betreten. Er war ein intelligenter, durch und durch vertrauenswürdiger Partner. Und in dieser erneuten Partnerschaft lag eine gewisse Zwangsläufigkeit. Es schien immer wieder auf James hinauszulaufen. Dieser Fall, der so unspektakulär angefangen hatte, wurde rasch immer komplizierter – für sie persönlich zumindest.
Sein Grinsen wurde selbstgefällig. »Dachte ich mir’s doch. Dann erzähl mir mal alles über die Ehrenwerte Honoria.«
Achtzehn
Mittwoch, 15. Februar
Buckingham-Palast
E s war sehr spät – oder besser gesagt, ziemlich früh, als Mary in den Palast zurückschlich. Das war auch gut so: Sie wollte keinesfalls den schrecklichen Anblick riskieren, Octavius Jones bei Amy im Bett anzutreffen. Doch als Mary ihre gemeinsame Kammer betrat, war alles ruhig bis auf das friedliche Schnarchen von Amy. Sie blieb nur so lange, bis sie den Schmutz abgewaschen, die Stiefel geputzt und eine neue Diensttracht angezogen hatte, dann schlüpfte sie nur wenig früher als sonst hinunter. Sie hatte eine Menge Arbeit zu erledigen, wenn sie sich für eine Stunde davonstehlen wollte – hoffentlich gedeckt von Amy.
Allein das Gesicht von Mrs Shaw war es wohl wert, eine Nacht ohne Schlaf ausgekommen
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