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Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3

Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3

Titel: Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Lee
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konnte kaum glauben, dass dahinter der Gefangene saß.
    »Besuch, Lang«, sagte der Wärter mit gelangweilter Stimme.
    Mary hielt die Luft an. Die Stimme: Würde es die ihres Vaters sein? Doch es vergingen einige Sekunden, und die einzige Antwort war ein leises Rascheln   – als ob Zweige von einer Brise bewegt würden. Schlurfte Lang herum? Rieb er etwas an der Wand?
    »Lang!«, bellte der Wärter. Er sah Mary misstrauisch an. »Erwartet er Sie?«
    Sie schüttelte den Kopf, denn die Stimme versagte ihr auf einmal.
    Der Wärter trat an die Tür und klopfte mit seinem Schlagstock an die Stäbe. »Steh auf, Schlitzauge. ’ne Dame, die dich besuchen will.«
    Immer noch nichts.
    Der Gefängniswärter sah Mary mit hochgezogenen Augenbrauen an, als wolle er fragen: Was nun?
    Sie räusperte sich. »Ist er immer so bei Besuchen?«
    Der Mann schnaubte verächtlich. »Hat noch keinen gekriegt. Es sei denn, Sie meinen den Kaplan, und den beachtet er nicht. Er ist nicht gewalttätig, Miss   – lassen Sie sich von den Gerüchten keine Angst machen. Er schläft nur den ganzen Tag, außer wenn er seine Zitteranfälle kriegt.«
    »Zitteranfälle?« Ihre Stimme hallte laut von den Steinmauern wider.
    »Drogenabhängig. Er ist doch in ’ner Opiumhöhlegefunden worden. Und jetzt hat er seit vier Tagen nichts mehr bekommen. In den ersten paar Tagen hat er getobt. Wie ein Verrückter.«
    »Und das ist jetzt vorüber?«
    »Na, er hat diesen Unsinn nicht ewig weitertreiben können; war ja schon beim Zusehen anstrengend.«
    »Was ist mit Essen und Trinken?«
    Der Wärter zuckte die Schultern. »Diese Gefangenen, die haben so ihre verrückten Ideen. Die meisten versuchen es früher oder später mit einem Hungerstreik.«
    »Aber wenn er seit vier Tagen nichts gegessen hat, dann ist er bald tot. Dann schafft er es nicht mehr bis zur Gerichtsverhandlung!« Mary bemühte sich, einen scharfen Ton zu vermeiden.
    »Meiner Meinung nach erspart das viel Ärger. Aber wir haben unsere Befehle. Er kriegt, was bei der Zwangsernährung reingeht, dreimal täglich, Ma’am. Er verhungert schon nicht.«
    Das beruhigte Mary wenig. Wie lange konnte ein Mann existieren von ein paar Löffeln Grütze, die ihm in den Hals gestopft wurden? Das raschelnde oder eher pfeifende Geräusch hatte während des Gesprächs mit dem Gefängniswärter angehalten, mal lauter, mal leiser. »Machen Sie bitte die Tür auf.«
    Der Mann zuckte die Schultern. »Wie Sie wollen. Obwohl er kaum mit Ihnen sprechen wird. Ich hab ihn seit zwei Tagen kein Wort reden hören.« Doch er schloss auf und trat mit einer schwungvollen Verbeugung zurück. »Miss.« Er nahm die halbe Krone,die sie ihm anbot, mit einer raschen Bewegung an, und mit einer noch unterwürfigeren Verbeugung verzog er sich ans Ende des Vorraums, wo es zur Treppe ging.
    Mary schloss einen Moment die Augen und versuchte, sich das Bild ihres Vaters ins Gedächtnis zu rufen: Lang Jin Hai. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er ein hübscher Mann um die Dreißig gewesen. Hochgewachsen für einen Chinesen, dem Prinzgemahl etwas ähnlich   – worauf ihre Mutter stolz gewesen war. Aber das war zwölf oder dreizehn Jahre her und sie war ein kleines Kind gewesen. Die Erinnerung war eine Last   – das Gefühl hatte sie schon immer gehabt.
    Genug. Sie öffnete die Augen und spähte in die Zelle. Der Raum war fensterlos und daher dunkel. Das ganze Tageslicht kam von einem schmalen Fenster im Gang davor. Nachdem sich Marys Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie Umrisse und eine gewisse Raumtiefe erkennen. Die Zelle war schmal und lang, das einzige Möbelstück war eine dicht an die Wand geschobene Pritsche: kein Stuhl, kein Tisch, keine Waschschüssel mit Krug. Wenn man allerdings von dem üblen Geruch ausging, gab es einen Nachttopf unter dem Bett, der in letzter Zeit nicht ordentlich gereinigt worden war.
    Und schließlich das, was sie am meisten und am wenigsten sehen wollte: eine Gestalt, die zusammengerollt auf dem Bett lag und unter einer dünnen Wolldecke zitterte. Mary wurde übel. Das war also derGrund für das raschelnde Geräusch: ein kranker Mann, der sich zu Tode zitterte, vor den Augen eines Wärters und einer Besucherin. Sie wollte aus der Zelle stürmen, nach Decken und einer Wärmflasche schreien und nach einer Schüssel mit dampfender Brühe. Mit Mühe hielt sie sich zurück. Dieser Mann hatte genug Geschrei gehört.
    Sie räusperte sich, nicht, weil es notwendig war, aber um ihn

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