Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
sich zu dem gelassensten Ausdruck, den sie hervorbringen konnte, und drehte sich um. »Ja, Sir.«
Er trug eine Hausjacke – seltsam um diese Tageszeit – und kniff die Augen zusammen, was ihn kurzsichtig aussehen ließ. »Warum wolltest du wieder gehen?«
»Ich – ich habe mich gefürchtet, Sir.«
»Vor mir?« Er blinzelte erstaunt. »Ach so – wegen meiner Stellung?«
Sie machte eine hilflose Geste mit den Händen und spielte die Rolle eines schüchternen, naiven Dings. »Ja, Sir.«
»Denk einfach nicht daran. Komm herein.«
Mary ließ sich in den Salon des Prinzen führen und er schenkte ihnen Wein ein. Zögernd nippte sie daran. »Der schmeckt sehr gut, Sir.«
Sein Lächeln war gönnerhaft. »Ja sicher. Das ist ein guter französischer Bordeaux.«
Einige ungemütliche Minuten lang tranken sie schweigend, ehe er wieder zu reden anfing. »Du musst doch inzwischen wissen, wie sehr ich dich bewundere,Mary. Ich fürchte, ich habe es dir nicht recht gezeigt.«
»Mrs Shaw hat mich vor unmoralischem Betragen gewarnt, Sir.«
»Pah! Nichts als Eifersucht. Mrs Shaw hat noch nie im Leben ein männliches Herz schneller schlagen lassen. Bestimmt hat sie gesagt, es wäre dein Ruin.«
»Richtig, Sir.«
»Also, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen; ich kümmere mich um dich. Und du musst mich auch nicht Sir nennen. Nicht wenn wir so beieinander sind.« Er rückte seinen Stuhl näher an ihren, sodass sich ihre Knie berührten.
Mary kämpfte gegen eine Welle der Übelkeit an. Sie hatte es bisher vermieden, über die intimen Einzelheiten dieses Treffens nachzudenken. Das war dumm gewesen. »W-wie soll ich Sie nennen?«
»Nenne mich Edward.«
»Nicht Prinz Bertie?«
Er verzog das Gesicht. »Meine Mutter nennt mich Bertie. Wenn sie nicht Albert Edward Wettin sagt.«
»Verstehe.« Sie verstand ihn sehr gut. Diese Verführung war der Versuch, seine Gefühle kindlicher Ohnmacht auszugleichen. Er stellte sich tollpatschig und überaus gedankenlos an, aber es mochte ihm helfen, sich wie ein Erwachsener vorzukommen.
»Trink deinen Wein, Mary.«
Ihr Glas war fast noch voll. »Ich möchte nicht, dass er mir zu Kopf steigt, Sir.«
Er lächelte. »Ich schon.«
Mary kämpfte erneut gegen einen Anfall von Übelkeit an. Neigte den Kopf und trank. Was machte sie hier eigentlich? Gab es irgendetwas, das sie sagen konnte, um sich da rauszuziehen, ohne ihre vertrauliche Beziehung zum Prinzen zu verlieren? In ihrem gesamten, alles andere als behüteten Leben hätte sie sich niemals vorstellen können, so ihre Unschuld zu verlieren.
»Schon besser«, säuselte er, als sie das halb leere Glas senkte.
Doch als er sich vorneigte, um ihr den Kelch abzunehmen, packte sie ihn fester. »Darf ich nicht austrinken, Sir? Ist doch schade, einen so edlen Wein zu verschwenden.«
Sein Lächeln war halb ungeduldig, halb nachgiebig. »Natürlich. Dann wirst du auch lockerer.«
Glaubte er das wirklich? Sie nahm einen kleinen Schluck Rotwein und bemühte sich um ihre gewohnte geistige und körperliche Disziplin. Ein Rest war noch vorhanden. Sie konnte noch wählen: Sie konnte sich wehren und fliehen und damit alle Hoff nung über Bord werfen, diesen Fall noch zu lösen. Oder sie konnte Bertie zu Willen sein und ihre Rolle noch eine Weile weiterspielen. Die erste Möglichkeit ruinierte ihren ersten Fall als Vollmitglied der Agentur und würde ihre Fähigkeit als ausgebildete Detektivin infrage stellen. Wählte sie die zweite Möglichkeit, opferte sie ihren Körper – das Einzige, was ihr ganz gehörte – zum Wohl der Agentur. War das die Sache wert? Sie hatte weder von Anne noch von Felicityeine Antwort auf ihre Fragen bekommen; hatte keinen Kontakt mehr gehabt seit der rätselhaften Einberufung am Sonntag.
Unmut brandete in ihr hoch, gefolgt von einer Panikattacke. Sie hatten sie praktisch im Stich gelassen. Waren sie es wert, dass sie ihre weibliche Selbstachtung opferte? Die Antwort stellte sich rasch ein, auch wenn sie es nicht gerne zugab: Nur durch die Agentur hatte sie eine gewisse Würde erlangt. Die beiden Frauen hatten sie gefunden und gerettet und das aus ihr gemacht, was sie war. Sie schuldete ihnen alles.
Mary holte tief Luft. Sie konnte es tun. Es war nur eine Sache der Disziplin und davon hatte sie genügend. Was hatte sie schon zu verlieren? Keinen Verehrer, keine Heiratsaussichten. Das Risiko lag ganz bei ihr. Der letzte Schluck Wein hatte einen bitteren Beigeschmack, doch sie zwang sich zu einem
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