Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
Das war die beste Verfah rensweise . Andrerseits, dachte Mary, als sie in ihre Kammer hinaufstieg, um Papier und Feder herauszuholen, hatte sie bisher noch nichts von Anne oder Felicity zu ihren anderen Fragen gehört. Ohne ihre Hilfe war sie hier als gewöhnliches Zimmermädchen ganz auf sich selbst gestellt. Und im Moment war sie nicht sonderlich zuversichtlich, dass ihr ihre Ausbildung irgendwie helfen könnte. Es gab immer noch zu viele Dinge, die sie nicht verstand. Es gab zu viel zu tun. Sie hatte keine Ahnung, wie die Dinge miteinander zusammenhingen. Und heute Abend erwartete Honoria Dalrymple von ihr, dass sie PrinzBertie verführte, um den Unehrenwerten Ralph Beaulieu-Buckworth reinzuwaschen.
Mary dachte an Lang Jin Hai in seiner Zelle im Cradle Tower. Er zumindest war sich seines Schicksals sicher. Diesen Gedanken hatte sie noch nicht zu Ende gedacht, als sich ihr Magen schon vor Reue und Selbstverachtung zusammenzog. Nein, sie beneidete ihren Vater natürlich nicht. Aber vielleicht beinhaltete ihr Wunsch, ihm zur Flucht zu verhelfen, auch, diesem elenden Wirrwarr zu entkommen. Zu leben wie zwei unbeschwerte Streuner war bestimmt unmöglich. Aber sie konnte nicht anders, als sich zutiefst nach einer unkomplizierten Existenz zu sehnen. Nach einem glücklichen Leben. Wenn es das überhaupt gab.
Wahrscheinlich nicht, vermutete sie.
Fünfundzwanzig
A ls die Aufforderung des Prinzen von Wales kam, bei ihm zu erscheinen, war sie beklagenswert unvorbereitet. Sie hatte so fest damit gerechnet, dass es erst am Abend sein würde – nach dem Abendessen, nachdem sich die Angestellten zurückzogen –, dass sie völlig durcheinander war.
Es war der Beginn der Ruhepause nach dem Mittagessen. Die Bediensteten hatten eine Stunde Freizeit. Auf dem Weg hinauf zu ihrer Kammer erkundigte sich Mary im Zimmer der Haushälterin nach einer Antwort der Agentur. Nichts. Sie runzelte die Stirn. Sie hatte ihnen nicht viel Zeit gelassen, das stimmte schon, aber normalerweise war Anne Treleaven so tüchtig. Vielleicht in einer Stunde. Sie ging den Gang zur Treppe entlang, kam um eine Ecke und stieß auf einen der grinsenden, schmallippigen Kammerherren vom Tag zuvor.
»Du kannst dich glücklich schätzen, Mädchen.«
Sie knickste stumm. »Meinen Sie mich, Sir?«
Er sah sich umständlich um. »Wen sonst?« Natürlich,sie waren allein auf dem Gang. »Seine Hoheit möchte dich gerne auf ein Wort sprechen.«
»Auf ein Wort?«
Wieder das anzügliche Grinsen. »Vielleicht mehr als nur eines. Aber ich bezweifle, dass es viel zu re den gibt.«
Am liebsten hätte sie ihm in die Weichteile getreten und wäre davongelaufen. Die Vorstellung war verlockend, wenn sie ihre Lage bedachte: Den Wünschen von Prinz Bertie nicht nachzukommen, würde auf jeden Fall eine Kündigung nach sich ziehen, ihnen jedoch Folge zu leisten ebenso, sobald Mrs Shaw davon erfahren würde. Doch sie entschied sich, dem Kammerherrn zu gehorchen, denn sie hoffte, mehr Einfluss auf den Prinzen zu haben als auf Mrs Shaw. Mit entschlossener Miene machte sie sich auf den Weg zu den Gemächern des Prinzen von Wales. Ein langer Weg lag vor ihr: Sie befand sich am anderen Ende des Palastes.
Der Kammerherr – sie sahen einander so ähnlich, dass sie sie nie unterscheiden konnte – folgte ihr. »Und du kommst einfach so mit?«
Sie überhörte ihn einfach.
»Ich meine, solltest du – äh – nicht noch ein bisschen Toilette machen oder dergleichen?«
Sie sah den untersetzten jungen Mann herablassend an – was nicht schwierig war, auch wenn er viel größer war als sie. »Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen.«
Er wurde rot, dann runzelte er die Stirn. »Ziemlicheingebildet für so ein gewöhnliches junges Ding, was? Nur, weil der Prinz ein Auge auf dich geworfen hat.«
Sie ging unverdrossen weiter.
»Du bist nicht mal besonders hübsch.«
Mary dachte, als Nächstes würde er sagen:
Keine Ahnung, was er an dir sieht …
»Ich persönlich verstehe nicht, was er an dir fin det .«
Als sie durch die Porträtgalerie kamen, hoffte Mary, dass jemand – einer der Prinzen oder der Prinzessinnen, ein hoher Besucher, vielleicht sogar der Prinzgemahl höchstpersönlich – auftauchen würde. Aber sie hatte kein Glück. Sie begegneten nur gelegentlich einem Dienstboten, der sich angesichts des Kammerherrn sofort zur Wand drehte. Marys Stimmung verdunkelte sich. Es würde genug Zeugen geben, die mit einer Geschichte aufwarten konnten, aber
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