Skandal um Lady Amelie
vorbeibringen, wenn Sie erlauben, Madam. Mr. Pallisy kennt Ihre Wünsche?“
„Ja, er weiß Bescheid. Ich danke Ihnen.“
Er schlug die Bilder sorgsam in das Papier und klemmte sich das Paket unter den Arm. „Madam, ich freue mich, von Nutzen zu sein.“
„Noch einmal danke. Es war sehr freundlich von Ihnen, zu kommen. Wenn Sie uns ein paar Tage Ruhe gewähren wollen? Caterina ist immer noch …“
„Ein wenig verstört? Das ist verständlich.“ Er ging zögernd zur Tür, offensichtlich mit sich kämpfend, ob er mehr sagen sollte. „Sie sollten vielleicht wissen, dass Tams Vater ihn für eine Weile fortgeschickt hat. Ah, keine Aufregung, nicht in die Verbannung! Hannah ist für einige Wochen mit ihm verreist, bis der … Trubel sich gelegt hat. Es ist besser so. Gewiss stimmen Sie dem zu.“
„Ein paar Wochen? Und danach?“
„Unter Umständen hat sein Vater bis dahin Pläne für ihn gemacht. Man wird sehen.“ Er lächelte milde, nicht so sardonisch wie vor zwei Tagen, als er seinen Schwager wütend niedergeschlagen hatte.
„Ah ja“, sagte Amelie vage. Sie dachte weniger an Hannah und Tamworth, die einem ihr unbekannten Ziel entgegenfuhren, als an Lord Seton, der, wenn er lächelte, seinem Bruder so ähnlich sah, dass sie beinahe aufgeschluchzt hätte. Nun wusste sie nicht, wann sie dieses Lächeln endlich wiedersehen würde oder ob er es nicht schon längst einer anderen schenkte. „Ja, man wird sehen. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Sir.“ Sie brachte ihn zur Tür und sah ihm nach, wie er mit eleganten, geschmeidigen Bewegungen die Treppe hinabeilte.
Einen Moment blieb sie an der Tür stehen; vielleicht würde Caterina noch einmal singen, doch es blieb still. Gerade wollte sie sich abwenden, als Signor Cantoni aus dem Morgensalon kam. Höflich hielt er Caterina, die ihm mit melancholischer Miene folgte, die Tür auf.
„Es macht nichts“, sagte der Maestro an Amelie gerichtet. Er sprach mit starkem italienischem Akzent. „Macht gar nichts. Wir alle haben emozione …“ Nachsichtig lächelnd presste er eine Hand aufs Herz. „Und wenn wir weinen, können wir nicht gut singen. Wir quetschen die Töne, so …“ Er gab einen quäkenden Klang von sich, sodass selbst Caterina unsicher lachte. „Bald, einen anderen Tag, wenn sie nicht weinen muss, ja? Dann singt sie wieder brillant.“
„Ja“, hauchte Caterina und bedankte sich bei ihrem Lehrer.
„Es macht nichts“, wiederholte er und nickte, dass sein dunkles, geöltes Haar, das ihm weit über den Kragen reichte, wippte. „Aber Miss Chester sagt …“, er senkte dramatisch die Stimme, „… Signor Rauzzini wird uns am Sonntag nicht das Vergnügen seines Besuchs gönnen können. Das ist wahrhaftig tragisch, meine liebe Dame. Sehr unglücklich.“ Bekümmert, doch hoffnungsvoll sah er Amelie an, als erwartete er von ihr auf der Stelle eine Lösung.
„Leider ist das wahr, Signore“, bestätigte Amelie. „Doch was können wir tun, als auf seine Rückkehr zu warten? Bath ist nun einmal recht weit entfernt.“ Kaum hatte sie das ausgesprochen, kam ihr ein so befreiender Gedanke, dass Signor Cantonis Entgegnung mehr oder minder an ihr vorbeirauschte.
„Ah, wir werden bis zur Rückkehr des Maestros improvisieren müssen. Buon giorno , Mylady, Miss Chester.“ Er verneigte sich und verschwand ebenfalls die Treppe hinab, während Amelie und Caterina verharrten; ihre Blicke trafen sich.
Amelie, die Caterinas Kummer nicht ignorieren konnte, fragte: „Du sahst ihn gehen?“ Caterina wusste, wer gemeint war. „Wollte er nicht warten?“
„Er hatte noch Pflichten zu erledigen. Weißt du, es war kein regelrechter Besuch, er brachte mir nur eine Nachricht. Er wird wiederkommen. Komm, schau nicht so, Liebes, er hat nach dir gefragt. Er hörte dich singen.“
„Es ist mir gleich. Wirklich, gestern konnte man ja deutlich sehen, dass er meine Gesellschaft nicht sucht, und ich werde nicht um ihn weinen und mir die Stimme ruinieren! Erwähnte er Tam?“
„Tam und Hannah sind für eine Weile verreist.“
„Hannah auch? Wie dumm! Alle fahren weg!“
Amelie nahm Caterina bei der Hand und zog sie mit sich. „Komm mit mir, ich glaube, es wird Zeit, dass wir auch verreisen. Und Bath liegt ja nicht am Ende der Welt, oder?“
Schon drei Tage später traf Lady Chester samt Nichte und zwei Zofen in Bath ein, wohin ihr am Tag zuvor Butler, Haushälterin und Koch vorausgefahren waren. Da sie die Strecke im zwei Etappen zurückgelegt und unterwegs
Weitere Kostenlose Bücher