Skandal um Lady Amelie
in einem angenehmen Gasthof übernachtet hatten, trafen sie am frühen Nachmittag in der Stadt ein, als die Sonne noch den Lansdown Crescent mit ihrem warmen Licht übergoss.
Das elegante vierstöckige Haus bot einen herrlichen Blick über die Stadt. Amelie hatte es von Sir Josiah als Hochzeitsgabe bekommen und während der Saison dort regelmäßig Gesellschaften gegeben. Seit einigen Jahren war sie nicht mehr dort gewesen, hatte es jedoch hin und wieder Freunden überlassen. Nun stand es gerade leer, sodass sie sich hier vor ihren sich anhäufenden Problemen zurückziehen konnte. In der Tat hatte sich alles so unangenehm entwickelt, dass das, was zuerst nur eine befriedigende Lösung für Caterinas Enttäuschung schien, nun nachgerade für Amelie selbst zu einer Flucht geworden war. Sie musste nämlich feststellen, dass Hursts widerlich schmeichlerisches Schreiben in die falschen Hände geraten war. Nach einer Stunde verzweifelten Suchens und einem vergeblichen Besuch bei dem Rahmenmacher war der Brief aufgetaucht – in einem Umschlag versiegelt brachte ihn ein Lakai von Sheen Court, ohne jede weitere Nachricht, weder die beruhigende, dass der Brief nicht gelesen worden war, noch die des Bedauerns wegen der Unannehmlichkeit.
Daraus konnte sie nur schließen, dass Lord Seton ihn gelesen hatte und es nur eine Frage der Zeit war, bis sein Bruder von Hursts hartnäckiger Verfolgung erfuhr. Fragte sich, ob Lord Elyot ihr weiterhin glauben würde, dass Hurst niemals ihr Geliebter war. Würde er vielleicht auf der Stelle die Verlobung lösen? Oder hatte er das sowieso schon geplant, nachdem sie wegen des Auftritts seiner früheren Mätressen so in Wut geraten war?
Entgegen ihrem ersten Entschluss hatte sie Hurst kein Geld geschickt, denn wenn sie ihn auch nicht davon abhalten konnte, weiteres Unheil anzurichten, so konnte er wenigstens fürs Erste mit ihr nicht in Kontakt treten, da er ihren neuen Aufenthaltsort nicht kannte. Genauso wenig wie Lord Elyot und dessen Eltern. Besonders die Eltern.
An diesem Ankunftstage wirkte Caterina, vielleicht aufgrund der neuen Eindrücke, nicht mehr ganz so verzagt. Bewundernd eilte sie von Zimmer zu Zimmer und freute sich an der geschmackvollen Ausstattung. Ihr eigener Raum gefiel ihr ganz besonders mit seinen hübschen, hellen Möbeln, dem Himmelbett mit den eleganten Bettvorhängen, der geschmackvollen Tapete in Pastelltönen und den vergoldeten Spiegeln.
Der Salon bot aus seinen nach Süden weisenden Fenstern eine atemberaubende Aussicht. Ganz Bath lag einem zu Füßen. „Schau“, sagte Amelie, „da unten liegt die Abteikirche, und nicht weit entfernt befinden sich das Römische Bad und das Kurhaus mit der Trinkhalle.“
„Und die Gesellschaftsräume?“
„Sind ebenfalls dort. Zehn Minuten zu Fuß den Berg hinunter. Morgen werden wir kurz vorbeigehen und schauen, was es zurzeit an Veranstaltungen gibt. Anschließend erkundigen wir uns, wo Signor Rauzzini lebt, und senden ihm unsere Visitenkarte.“
„Wie beschäftigt man sich hier den ganzen Tag?“
Amelie musste lächeln. Sie erinnerte sich daran, dass auch sie diese Frage einmal gestellt hatte. „Oh, man trägt seine schicksten Kleider spazieren und sieht sich um, ob jemand noch eleganter ist. Ich schlage vor, wir gehen direkt nach dem Frühstück zur Trinkhalle. Im Gästebuch kann man feststellen, wer alles hier ist und wo diejenigen sich eingemietet haben. Natürlich tragen wir uns auch ein und machen so unseren Aufenthalt bekannt. Hier geht alles viel weniger förmlich zu als daheim, Liebes.“
Später, als Caterina längst zu Bett gegangen war, stand Amelie am Fenster und schaute über die dunkle Stadt hin. Unter ihr bildeten die in jedem der schmiedeeisernen Bögen brennenden Straßenlampen einen leuchtenden Halbmond.
Den ganzen Tag über hatte sie ihre Sorgen unterdrückt, doch nun drängten sie unaufhaltsam empor. Sie hatte Caterina all die Gründe, die sie nach Bath führten, nicht genannt. Vor allem nicht, warum sie wünschte, ihr Verlobter werde kommen und ihre Rückkehr verlangen, noch, warum sie glaubte, diese Reise, die eher eine Flucht war, könnte der Anfang vom Ende sein, einem viel zu frühen Ende. Nur so wenige Wochen hatte alles gedauert.
Noch etwas lastete auf ihr. In diesen letzten Tagen hätte eine bestimmte Sache eintreten müssen, doch diese eine, deren sie sich immer hatte gewiss sein können, blieb bisher aus. Weder heftigstes Wünschen noch wiederholtes Hin-und Herrechnen änderten
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