Skandal um Lady Amelie
überlegt, ob sie ihn bitten sollte, sie zu heiraten, hatte das jedoch gleich wieder verworfen. Das wäre denn doch zu schäbig, selbst bei einem Frauenhelden wie ihm. Sie musste einfach abwarten. Noch konnte alles Mögliche geschehen.
Das Haus, das Adorna für die Saison in Bath gemietet hatte, ähnelte dem Amelies, außer dass es nicht ganz so exklusiv war und nicht in so luftiger Höhe gelegen. Doch wie in ihrem Heim in Mortlake drängten auch hier alle Bewohner in buntem Durcheinander gleichzeitig aus dem Portal, als Amelie vorfuhr. Sie bat Caterina, ihren Platz im Phaeton an Adorna abzutreten, nicht nur aus Höflichkeit, sondern weil sie endlich einmal mehr über die Furcht einflößende Marchioness erfahren wollte. Also begleitete Hannah, die ganz närrisch nach Kindern war und die ihrer Schwägerin besonders liebte, deren munteren Nachwuchs, und Caterina und Tamworth folgten dem Trüppchen, jedoch immer in Sichtweite des Phaetons, den Amelie im Schritttempo voranbewegte. Schließlich hatten sie einen angenehmen Platz erreicht. Grazile chinesische Brücken führten über einen schmalen Bach, an dem die Kinder die Enten fütterten, und Caterina erforschte hier und da eine der künstlichen Grotten. Amelie ließ die Grauschimmel rasten, und die beiden Frauen schauten von ihrem hohen Sitz dem heiteren Treiben zu.
„Sie hatten neulich gesagt, dass Sie mir mehr über Ihre Ahnin, die bewusste Adorna Pickering, erzählen wollten“, sagte Amelie schließlich. „Sie wissen schon – über diesen Skandal.“
Adorna lachte. „Wenn Sie den Mut haben, meinen Bruder zum Gatten zu nehmen, wird Ihnen Adornas Geschichte auch nichts ausmachen. Offensichtlich erschien sie einmal maskiert, aber halb nackt vor Königin Elisabeth I., und Sir Nicholas Rayne warf ein Netz über sie und zerrte sie vor den Augen des gesamten Hofes zu sich heran, ehe er sie triumphierend fortschleppte.“
„Tatsächlich? Wenn das nicht skandalös ist!“
„Und einmal, auf einer der Rundreisen der Königin, nahm sie in einem Schauspiel die Stelle ihres Bruders Seton ein – vor den Augen der Herrscherin! Danach floh sie, verfolgt von Sir Nicholas, und als sie schließlich gemeinsam in Richmond eintrafen, war sie schwanger. Ihr Vater tobte vor Wut, doch sie heirateten trotzdem. Das erregte damals reichlich Aufsehen.“ Beim Erzählen klang Adorna keineswegs peinlich berührt, sondern eher, als wäre sie neidisch, weil ihre Namensschwester ein so aufregendes Leben geführt hatte. „Ich glaube“, fügte sie hinzu, „den meisten unserer Vorfahren hängt irgendein Skandal an. Wie sieht es bei Ihnen aus, Amelie? Ist der Ruf Ihrer Verwandtschaft weiß wie Schnee?“
„Ach, das bezweifele ich“, sagte Amelie zurückhaltend. „Aber Sie erwähnten auch, dass Ihrer Mutter Skandale nicht fremd wären? Sie meinten damit wohl auch deren Vorfahren?“
Adorna lachte leise. „Sie ist eine überwältigende Persönlichkeit. Wir alle vergöttern sie. Wie viele andere Männer auch verehrte mein Vater sie schon, als sie noch die Mätresse des Duke of Asenthorpe war. Vielleicht missbilligen Sie es, dass Nick und Seton Geliebte hatten, aber meine Mutter war kaum besser, bis Vater sie dem Duke ausspannte und sie ehelichte. Seit sie uns Kinder hat, gibt sie sich schrecklich respektabel. Sie wird verflixt froh sein, dass Nick heiraten will, und noch dazu jemanden wie Sie. Sie drängt ihn nämlich schon seit Ewigkeiten, endlich eine Familie zu gründen. Aber meine Liebe“, sie legte Amelie ihre zierliche, behandschuhte Hand auf den Arm, „glauben Sie nur nicht, Nick würde nur unseren Eltern zu Gefallen eine Frau nehmen. Nie und nimmer. Doch wir sahen ja alle, wie er Sie anschaut, Amelie. Dieses Mal ist es Liebe.“
Dazu hegte Amelie ihre persönlichen, ziemlich illusionslosen Ansichten. „Gewiss hat er doch schon einmal geliebt?“
„Ich glaube nicht … nein … wirklich nicht.“ Adorna wandte Amelie das Gesicht zu, als wäre ihr etwas Dringendes eingefallen. „Übrigens, Sie wissen ja, dass Hannah sich einbildet, in ihn verliebt zu sein? Ja? Das soll Sie nicht bekümmern. Sie ist besessen von dem Gedanken, zu heiraten und eine große Familie zu haben. Schauen Sie nur, wie sie mit den Kindern umgeht! Sie wird einmal eine großartige Mutter sein, aber sie ist überhaupt nicht Nicks Typ. Sie sind sein Typ, Amelie.“
„Und wie genau ist sein Typ?“
„Sie muss Niveau, Haltung, Schönheit und Intelligenz besitzen. Aber vor allem Niveau, doch das haben
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