Skandal um Lady Amelie
„Die Hügel, die Schafe … der Wind in meinem Haar … Frieden … Stille … Ach, Tante Amelie, du hättest die Vögel hören müssen, ihr Singen wie Harfentöne …“
Amelie breitete die Arme aus, und das Mädchen sank hinein. „Es ist schön, dass es dir solche Freude machte, aber wir haben uns wirklich gesorgt. Du darfst nicht noch einmal allein fortgehen. Nun komm, du musst etwas essen.“
Für den Abend hatten sie eine Einladung angenommen, und wenn Amelie auch wegen Caterinas seltsamem Verhalten Bedenken hegte, glaubte sie doch, die Ablenkung könnte ihrer Nichte guttun. Die Gesellschaft verlief angenehm, man spielte Karten, es wurde musiziert und – obwohl Sonntag war – sogar ein wenig getanzt, und um Mitternacht waren sie wieder daheim. Jedoch lag Amelie noch länger wach und grübelte über Caterinas seltsame Launen nach.
Als Caterina beim Frühstück fehlte und offensichtlich das Haus schon sehr früh verlassen hatte, glaubte man zuerst, sie habe erneut die Aussicht vom Hügel herab genießen wollen. Obwohl ihr Pferd fehlte, war sie von niemandem gesehen oder gehört worden, nicht einmal von dem Reitknecht, der im Raum über dem Stall schlief. Nun wurde er in aller Eile die Anhöhe hinauf ihr nachgeschickt, kam jedoch unverrichteter Dinge zurück. Auch eine Anfrage bei Adorna verlief ergebnislos. Der Diener kam mit dem Bescheid zurück, Mr. Tam Elwick sei zwar im Hause, wisse jedoch von nichts. Amelie wunderte sich, dass er nicht angeboten hatte, sich an der Suche zu beteiligen.
Krank vor Sorge sandte sie die Dienerschaft aus, um in ganz Bath nach Caterina zu forschen. Keine Möglichkeit wurde ausgelassen, das Kurhaus, die Abteikirche, Bibliotheken, Geschäfte aufgesucht, sogar der Apotheker, der allerdings anmerkte, dass er Miss Chester seit Samstag nicht mehr gesehen hatte.
„Samstag? Was wollte sie da?“, fragte Amelie irritiert.
Das zu erfragen, hatte Millie sich nicht gescheut. „Mr. Carey sagt, sie hätte Laudanum gekauft. Er schlug ihr vor, die Pillenform zu nehmen, das sei sicherer, doch sie wollte Tropfen. Es sei für Sie, Madam, hat sie ihm gesagt. Sie hatte sogar ein leeres Fläschchen dabei.“
Verdutzt rief Amelie: „Laudanum? Ich habe sie deswegen nicht ausgeschickt. Gab er es ihr?“
„Ja, Madam. Und ihr Geld reichte gerade noch dafür, sagte er.“
„Himmel, Millie, wusstest du etwas darüber?“
„Nein, ich schwöre es, Mylady“, beteuerte Millie. „Miss Chester muss es sehr sorgfältig versteckt haben. Nicht mal gerochen habe ich es, und ich weiß, wie es riecht, weil meine Mutter es nimmt, wenn sie ihre schlimmen Schmerzen hat.“
„Aber warum sollte Caterina es nehmen? Wozu? Und wer hat sie dazu verleitet? Und wo?“
„Vielleicht, wenn sie all diese jungen Leute besuchte? Mylady, ich weiß, dass die feinen Leute es manchmal aus reinem Vergnügen nehmen. Es hebt ihre Laune, aber wirklich, nie hätte ich gedacht, dass Miss Caterina das täte. Na ja, in letzter Zeit war sie ein bisschen trübsinnig, nicht wahr?“
Verzweifelt aufseufzend sank Amelie auf einen Stuhl, von plötzlicher Übelkeit erfasst. Laudanum! Ein Schmerzmittel, leicht zu erwerben und sorgsam dosiert sehr nützlich, doch tödlich gefährlich, wenn es falsch verabreicht wurde. Kein Wunder, dass Caterina zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt schwankte.
„Dann muss Tam Elwick etwas über diese Geschichte wissen“, erklärte Amelie. „Wahrscheinlich geht er mir deshalb aus dem Weg. Millie, sag dem Reitknecht, er soll anspannen, anschließend durchsuchst du Miss Chesters Zimmer, vielleicht findest du etwas, das uns weiterhilft.“
Doch nichts kam zutage, und als zehn Minuten später ein Herr in den Salon geführt wurde, war es nicht etwa der junge Elwick, sondern Caterinas von der Reise ermüdeter Vater.
Tröstlicher wäre höchstens das Erscheinen des Mädchens oder gar Lord Elyots gewesen. „Stephen! Dem Himmel sei Dank, dass du kommst!“
Ihr enthusiastischer Empfang kam für ihn ebenso überraschend wie seine so passende Ankunft für Amelie, doch die ernste Miene des Butlers hatte ihn schon gewarnt, dass etwas nicht stimmte, weswegen er jede höfliche Geste fahren ließ und rief: „Worum geht’s, Amelie? Was ist geschehen?“
„Woher wusstest du?“, rief sie, seine Hände ergreifend.
„Ich weiß gar nichts. Sag, was ist hier los?“
„Aber wie konntest du so schnell hier sein?“ Immer noch glaubte sie, er müsse Bescheid wissen.
„Mit meiner Kutsche, wie
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