Skandal um Lady Amelie
Adorna ihre Aufgabe als Anstandsdamen nicht allzu gründlich aus, sondern behielten sie von Weitem im Auge, und wie zum Beweis, dass alles in guter Ordnung sei, stellte Caterina sich zwischendurch immer einmal wieder kurz bei ihrer Tante ein. Sie schien nicht mehr bedrückt, wirkte manchmal romantisch verträumt, manchmal berstend vor Tatendrang. Wenn Amelie sich auch über diese Stimmungsumschwünge wunderte, wusste sie doch nicht, welchem Umstand sie sie zuschreiben sollte, außer der anregenden Luft des Kurortes.
Allerdings fand sie Caterinas Verhalten zusehends irritierender. Natürlich hatte ihre Nichte sich gewandelt, seitdem Lord Seton ihr gegenüber Kühle walten ließ; sie war verletzt und durcheinander, das sah Amelie und litt mit ihr, ohne ihr jedoch raten zu können, wie sie damit umgehen sollte. Im Umgang mit Lord Elyot hätte sie solche Ratschläge nur zu gut selbst benötigt. Caterina hatte sich sehr bemüht, ihren Schmerz nicht zu zeigen, und erfreute sich Tamworths Gesellschaft, die durchaus ein Segen war, denn gerade jetzt brauchte sie dringend einen weiteren Bewunderer, wie oberflächlich auch immer er sein mochte.
Einige Tage später, als die ganze Gesellschaft die Eröffnungsvorstellung des neuen Royal Theater besuchte, wurde Caterina von dem Geschehen auf der Bühne – man gab Shakespeares Richard III. – derart überwältigt, dass sie in Tränen ausbrach und nicht mehr zu weinen aufhören konnte. Noch während der Vorstellung mussten Amelie und Adorna sie hinausführen, sie beruhigen und ihr tröstend zureden. Wie sie herausfanden, entlockte ihr nicht allein die Kunst der Schauspieler diesen Tränenstrom, sonder das gesamte zauberhafte Ereignis, der prachtvolle Saal, die üppigen Farben, das gleißende Licht. Das alles schilderte sie in den poetischsten Wendungen auf eine Art, die den beiden Damen höchst übertrieben erschien.
„Hat sie etwas eingenommen?“, fragte Adorna im Flüsterton.
„Nein, sie ist kerngesund. Heute Abend auf dem Weg hierher ist sie förmlich im Tanzschritt die Straßen hinabgehüpft.“
Adorna schüttelte ratlos den Kopf. „Seltsam! Ist sie öfter so?“
„Nicht, dass es mir aufgefallen wäre. Aber wissen Sie, sie ist künstlerisch begabt, sehr begeisterungsfähig und sensibel. Musik hat eine intensive Wirkung auf sie. Auf mich übrigens auch.“
„Nun, dann mag es daran liegen“, meinte Adorna, und dabei ließen sie es bewenden.
Am nächsten Morgen beim Frühstück wedelte Amelie mit einem Brief. „Sieh nur“, sagte sie zu Caterina, „der ist von Signor Rauzzini. Wie rasch er geantwortet hat! Er muss sehr an deiner Stimme interessiert sein, Liebes. Er bittet uns für morgen Nachmittag zu sich. Ist dir das recht?“
„Ja, sicher. Wo wohnt er denn?“
„In einem Dorf am Rande von Bath. Es wäre nur ein kleiner Spaziergang dorthin. Sag, geht es dir gut?“
„Ich habe ein wenig Kopfweh.“
„Kein Wunder nach all den Tränen. Hast du denn schlafen können?“
„Ein … ein bisschen.“
„Es ging dir wohl viel durch den Kopf?“
Caterina nickte zögernd. „Ich dachte, er müsste endlich gekommen sein.“ Trübsinnig starrte sie nieder auf ihren Teller. „Es tut so weh“, hauchte sie. „Warum kommt er nur nicht?“
„Ich weiß, Liebes“, murmelte Amelie niedergeschlagen.
„Du? Hast du mit Lord Elyot gestritten?“
„Nicht ernstlich. Ich weiß nicht, was los ist.“
„Das macht es noch schlimmer, nicht wahr?“
„Nein, Kind, dann kann man wenigstens noch hoffen, finde ich.“
„Eigentlich sollten wir zum Gottesdienst gehen, aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe.“
„Lass uns in die Abtei gehen. Der Organist ist sehr gut, und dort singt ein Chor. Wir müssen ja nicht zur Predigt bleiben, wenn du nicht magst. Anschließend können wir dann zu Fuß zu Dorna gehen und von dort aus gemeinsam in den Park.“
„Möchtest du denn zu Fuß gehen?“
„Lieber nähme ich den Phaeton. Komm, zieh dich besonders hübsch an; nichts hilft besser gegen Kopfweh und Liebeskummer.“ Was Amelie nicht einen Augenblick glaubte, doch Caterina brauchte eine Aufmunterung. Sie selbst hätte sich lieber mit heißer Schokolade und einem Buch zurückgezogen, anstatt mit Dorna und deren Gesellschaft die Sydney Gardens zu besuchen.
Amelie fühlte sich elend, denn immer noch gab es kein Zeichen, dass zumindest eine ihrer Sorgen sich in Luft aufgelöst hätte, besonders die eine nicht, die ihr Tag und Nacht auf der Seele lag. Zuletzt hatte sie sogar
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