Skandal
unglücklichen Stimme, die tief gesenkt war, hinzu: »Es gibt Dinge, die Sie wissen müssen.« »Ah.«
»Es war sehr nachlässig von mir, Sie über diese speziellen Angelegenheiten nicht in einem früheren Stadium unserer Beziehung zu informieren. Außerdem war es reichlich feige von mir, aber ich nehme an, ich bin davon ausgegangen, jemand anderes würde mir diese Aufgabe abnehmen.«
»Sie versetzen mich in größte Sorge, meine Liebe. Ich komme mir vor wie eine Figur in einem Roman von Minerva Press. Ich glaube wahrhaft, ich beginne, aus Grauen vordem Unbekannten zu zittern und zu beben.«
»Mylord, Sie wissen selbst sehr gut, daß nichts Sie dazu brächte, vor Grauen zu zittern und zu beben«, sagte Emily verdrossen. »Ich gelobe Ihnen, daß es so schon schwer genug ist. Bitte, verspotten Sie mich nicht auch noch.«
»Daran dächte ich im Traum nicht. Also gut, wenn es mir nicht gestattet ist, vor Grauen zu zittern und zu beben, dann werde ich meinen Mut zusammennehmen und mich mit Ihnen treffen, um mir das Entsetzliche anzuhören, was Sie mir zu sagen haben. Wie wäre es mit Ihrer Bibliothek um, sagen wir doch, um ein Uhr heute nacht? Bis dahin sind Sie längst zu Hause, und Ihre Dienstboten sollten schon im Bett liegen.«
Emily ließ ihr Lorgnon schockiert fallen. »In meiner Bibliothek? Sie meinen, Sie wollen in die St. Clair Hall kommen? Heute nacht?«
»Könnten Sie es so einrichten, daß Sie sich um die Zeit allein in der Bibliothek aufhalten?«
»Ja, sicher. Natürlich läßt sich das machen. Ich arbeite oft noch in der Bibliothek, nachdem die Dienstboten zu Bett gegangen sind.« Sie zog die Stirn in Falten und dachte über die praktischen Probleme nach, die sich ihr stellten. »Ich werde Ihnen die Haustür aufriegeln müssen.«
»Das ist nicht nötig.« Er trank einen Schluck von seinem Champagner und beobachtete die Paare, die zwischen den Tänzen umherschlenderten. »Sorgen Sie nur dafür, daß Sie um eins in der Bibliothek sind. Ich werde Sie dort aufsuchen.«
Emily hob ihr Lorgnon und sah forschend in sein Gesicht. Wie üblich konnte sie aus seiner Miene so gut wie gar nicht entnehmen, was in ihm vorging. Sie fand es unsäglich verwunderlich, daß er es fertigbrachte, seine sensible, leidenschaftliche Natur so vollständig hinter dieser Fassade kühler Teilnahmslosigkeit zu verbergen.
»Also gut, Mylord. Um ein Uhr.«
Emily mußte zugeben, daß die mysteriöse Art und Weise, auf die Simon ihr letztes klammheimliches Zusammentreffen arrangierte, betörend und faszinierend war, und das, obwohl der Abend zwangsläufig mit einem gebrochenen Herzen enden mußte. Aber schließlich hatte der Earl of Blade in keiner Hinsicht etwas Gewöhnliches an sich. Sie würde sich ihr ganzes Leben lang an sein kurzes Werben erinnern, und diese unvergeßlichen Erinnerungen würden ihr Schreiben und ihre Träume für Jahre inspirieren.
Ein paar Minuten vor eins setzte sich Emily an den Mahagonischreibtisch und starrte gebannt die Cognackaraffe an. Sie hatte ihre Brille wieder aufgesetzt, doch sie würde sie sich sofort von der Nase ziehen und sie in die oberste Schreibtischschublade stecken, sowie Simon eintraf.
Die Cognackaraffe sah äußerst einladend aus.
Die Karaffe war voll, und Emily fror vor Nervosität und banger Besorgnis. In der letzten halben Stunde hatte sie sich unablässig überlegt, ob sie sich zur Stärkung ein Glas einschenken sollte.
Die Zeiger auf dem großen Zifferblatt der Uhr neben dem Kamin bewegten sich so langsam, daß Emily sich schon zu fragen begann, ob sie gänzlich stehengeblieben waren. Ein paar Kerzen flackerten in der Nähe, doch das war die einzige Beleuchtung im Raum. Das Feuerholz war für den Vormittag aufgeschichtet worden, aber sie wagte nicht, es anzuzünden. Morgen würde sonst einer der Bediensteten bemerken, daß sie wieder lange aufgeblieben war, und dann würden sie sich alle Sorgen machen, daß sie zu hart arbeitete. Infolgedessen wurde es reichlich kühl im Raum.
Emily zuckte zusammen, als sie die Gänsehaut auf ihren Armen durch einen plötzlichen kalten Luftstrom fühlte, der hinter ihr ins Zimmer drang. Sie erschauerte in ihrem Morgenmantel mit den Rüschen und fragte sich, ob der Wind ein Fenster aufgedrückt hatte. Sie wollte gerade von ihrem Stuhl aufstehen.
Im selben Augenblick spürte sie, daß sich außer ihr noch jemand im Raum aufhielt.
Emily sprang auf die Füße, und ihre Lippen teilten sich zu einem Schrei, als sie den Brieföffner packte, der
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