Skandal
nicht«, hatte ihre Zofe Lizzie beharrt, als sie ihre Herrin mit begeisterten Blicken bewundert hatte. »Darin wirken Sie ganz zart und zerbrechlich. Als könnten Sie auf dem Mondschein davonfliegen oder so was.«
Emily hoffte nur, daß sie recht hatte. Sie fühlte sich an jenem Abend keineswegs besonders leicht oder beschwingt. Sie hatte einen Bleiklumpen im Magen, der von Minute zu Minute dicker zu werden schien.
Der kleine Ballsaal der Gillinghams war randvoll mit dem Adel der Umgebung angefüllt, und alle hatten sich besonders fein herausgeputzt. Lord und Lady Gillingham standen in dem Ruf, daß sie so freundlich waren, ein- oder zweimal im Jahr auch ihre weniger angesehenen Nachbarn einzuladen. Simons Gegenwart in ihrem Haushalt schien ein Vorwand für ein solches Ereignis zu sein. Champagner wurde ausgeschenkt, und ein Büffet mit Süßigkeiten und pikanten kleinen Speisen war aufgebaut worden.
Simon hatte sich und Emily schon zu Beginn des Abends in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, als er sie zu dem ersten Tanz aufgefordert hatte. Ohne ihre Brille und von einem romantischen Dunstschleier eingehüllt, gelang es Emily, das Starren und die zahlreichen neugierigen Blicke zu ignorieren, mit denen sie und der Earl, wie sie wußte, bedacht wurden. Simon hatte wie üblich den Eindruck erweckt, als nähme auch er es nicht wahr, aber das kam daher, daß er sich nie dazu herabließ, solche Dinge zur Kenntnis zu nehmen.
Emily konnte sich nichts vorstellen, was Simons gelassenem
Selbstvertrauen Abbruch getan hätte. Dieses Gefühl von innerer Kraft und Sicherheit, das so typisch für ihn war, konnte zeitweilig ein wenig erschreckend sein, aber es war entschieden beeindruckend.
Emily hob für ein paar Sekunden ihr Lorgnon und sah sich verstohlen in der Menschenmenge um, bis sie Simon entdeckte, der mit dem Pfarrer sprach. Sie fand, Blade sei ohne Zweifel an jenem Abend der stattlichste Mann im ganzen Saal. Natürlich war sie ein wenig voreingenommen. Aber man konnte die Tatsache nicht leugnen, daß Simon in seinem strengen schwarzen Abendanzug mit dem weißen Hemd sich bedrohlich attraktiv in einem Saal ausnahm, der von grell gemusterten Jacketts und Westen überfüllt war.
»Guten Abend, Miss Faringdon. Darf ich Ihnen ein Glas Limonade besorgen?«
Emily erstickte ein Stöhnen, als sie den unwillkommenen Klang von Elias Prendergasts Stimme hörte. Sie senkte ihr Lorgnon, da sie wahrhaft keine Sehhilfe brauchte, um in das vertraute, runde rötliche Gesicht mit dem dicken Schnurrbart zu schauen.
Sie brauchte auch weder ihre Brille noch das Lorgnon, um zu sehen, daß sich der stämmige Mr. Prendergast für diesen Anlaß in sein Korsett gezwängt hatte. Sie konnte es knacken hören, wenn er sich bewegte.
»Nein, danke«, murmelte Emily und dachte dabei, was sie in Wirklichkeit gebrauchen könnte, wäre ein Glas Champagner. Sie spreizte ihren Fächer und begann, sich emsig Luft zuzufächeln, als Prendergast sich näher zu ihr vorbeugte. Der Mann roch, als hätte er sich nicht die Mühe gemacht, vor dem Ball ein Bad zu nehmen. Prendergast gehörte der alten Schule an und hegte ein ausgeprägtes Mißtrauen gegenüber dem häufigen Gebrauch von Seife und Wasser, der seit neuestem in Mode gekommen war. Er zog es bei weitem vor, statt dessen große Mengen von Parfüm zu benutzen.
»Ich hatte vor, Sie aufzusuchen, da jetzt die Trauerzeit für mich abgelaufen ist, Miss Faringdon«, setzte Prendergast gewichtig an. »Ich habe das Gefühl, es gibt da etwas, was wir miteinander bereden sollten.«
Emily lächelte höflich. »Ich bin fest davon überzeugt, daß das ganz und gar nicht korrekt wäre, Sir. Sie wollen doch gewiß abwarten, bis mein Vater wieder zurückgekehrt ist.«
»Das ist es ja gerade, verflixt«, sagte Prendergast mit offenkundigem Verdruß. »Ihr Vater verbringt nicht gerade viel Zeit hier auf dem Lande. In seinem Kommen und Gehen ist er unberechenbar, nicht wahr?«
»Er hat in der Stadt sehr viele geschäftliche Angelegenheiten zu regeln. Ein wunderbares Fest, finden Sie nicht auch?« Emily bewegte ihren Fächer in einem anmutigen Bogen, der den ganzen hellerleuchteten Saal umschrieb. »Aber andererseits ist Lady Gillingham immer eine bezaubernde Gastgeberin.«
Prendergast zog die buschigen Augenbrauen finster zusammen. Er räusperte sich. Emilys Herz sank. Sie hatte eine gräßliche Vorahnung, was als nächstes kommen würde.
»Miss Faringdon, meine Liebe, ich empfinde mich als eine Art
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