Skandal
eine lebhafte Schilderung der Diskussionen beim letzten Treffen des Literarischen Zirkels, Diskussionen, die sich wieder einmal ausschließlich um Byron gedreht zu haben schienen. Er enthielt auch einen langen Absatz, in dem die neuen Verse beschrieben wurden, die dem Gedicht Die Geheimnisvolle Dame hinzugefügt worden waren, und ein paar beiläufige Bemerkungen über das Wetter.
Als er den Brief zu Ende gelesen hatte, nahm Simon vage wahr, daß eine seltsame Enttäuschung in ihm aufflackerte. Offensichtlich hatte Emily tapfer gegen die Versuchung angekämpft, ihm irgend etwas zu schreiben, was sich als überschwengliche Leidenschaft hätte auslegen lassen können.
Simon faltete den Brief behutsam wieder zusammen, blieb sitzen und schaute ins Feuer. Nachdem er eine kurze Weile nachgedacht hatte, streckte er die Hand nach der wunderschönen emaillierten chinesischen Teekanne aus, die auf einem Tisch in seiner Nähe stand. Er schenkte sich den Lapsung Souchong in eine hauchdünne Tasse, die mit einem grüngoldenen Drachen verziert war. Als er die Tasse gerade hochheben wollte, hielt er inne und sah sich die Gestalt des Fabelwesens näher an.
Emily hatte ihn als einen Drachen bezeichnet. Und ihre Augen waren voller Leidenschaft gewesen, und reizende weibliche Bewunderung hatte darin gestanden, als sie das gesagt hatte.
Simon sah sich in dem Zimmer um, in dem er saß. Wenn sie sein Stadthaus sah, würde sie es zweifellos als eine angemessene Höhle für einen Drachen bezeichnen.
Das gesamte Haus war in den tiefen, exotischen Farbtönen gehalten, die ihm allmählich ans Herz gewachsen waren, als er im Osten gelebt hatte: Chinesischrot, Dunkelgrün, Mitternachtsschwarz und glänzendes Gold.
Die luxuriöse Bibliothek war mit Erinnerungen an die fremden Länder angefüllt, die er bereist hatte. Der Orientteppich, der in zahlreichen Farbtönen gehalten war, bildete einen passenden Untergrund für die schwarzlackierten Schränkchen mit ihren Motiven aus Fabeln. Das Teakholzsofa mit seinen üppigen Schnitzereien und die Teaksessel waren mit rotem Samt mit goldenen Troddeln bezogen.
Der Schreibtisch war ein massives Möbelstück, das meisterlich gearbeitet und mit kunstvollen Intarsien versehen war. Er hatte ihn in Kanton anfertigen lassen. Duftschalen aus Indien erfüllten den Raum mit einer Mischung von Gerüchen, die nach seinen genauen Angaben in Bombay hergestellt worden war. Große Kissen aus goldenem Seidenbrokat, so groß, daß man sie schon als Bettstelle hätte benutzen können, waren um den Kamin herum arrangiert.
Und überall waren Drachen, wunderbar gearbeitete Skulpturen, die die wilden Fabelwesen aus dem Sagengut des Fernen Ostens darstellten. Die Drachen waren grün, schwarz, rot und golden, und jeder von ihnen war mit Edelsteinen verziert, die ein Vermögen wert waren. Wohin man den Blick in der Bibliothek auch wandte, man sah überall diese mythologischen Tiere mit Augen aus Smaragd und Rubin, mit goldenen Schuppen und Onyxklauen und mit topasbesetzten Schwänzen.
Simon hatte das sichere Gefühl, Emily würde sich von diesen Wesen angesprochen fühlen.
Er atmete den rauchigen Geruch des Tees ein, als er den Kopf an das leuchtendrote Polster seines Stuhls zurücklehnte und an seine bevorstehende Hochzeit dachte. Er wußte nicht genau, wann er sich entschlossen hatte, Emily Faringdon zu heiraten. Mit Sicherheit hatte er diese Absicht nicht gehabt, als er vor etlichen Monaten seine ursprünglichen Pläne entworfen hatte. Aber das Leben, das hatte er im Lauf der Jahre gelernt, hatte es an sich, die Absichten eines Mannes umzuwandeln und ihnen eine neue Gestalt zu geben.
Innerlich verfaßte er eine Antwort auf Emilys Brief, als sein einzigartig häßlicher Butler Lady Araminta Merryweather anmeldete. Simon stand gerade auf, als eine lebhafte Frau von Ende Vierzig inmitten einer Wolke von kostbaren Duftstoffen in das Zimmer gerauscht kam.
Lady Merryweather war wie üblich nach dem neuesten Schrei der Mode gekleidet. Heute trug sie ein hellblaues Kleid aus Merinowolle mit langen, schmalen Ärmeln und einem zarten Volant. Ihre Körpergröße, die für eine Frau ungewöhnlich war, verlieh ihr etwas Majestätisches. Ihr Hut war ein reizender kleiner Konfektionsartikel, der frech und schräg auf ihren grauwerdenden Locken saß. Ihre Augen hatten das Goldgelb von Simons Augen. Ihre schönen aristokratischen Züge waren von der Kälte gerötet.
»Simon, ich bin gerade erst in die Stadt zurückgekommen und habe
Weitere Kostenlose Bücher