Skandal
nur eine Frau mit gebrochenem Herzen.
»Ich bitte um Verzeihung, Miss«, sagte Emily zögernd. »Wie ich sehe, sind Sie allein, und ich habe mich gefragt, ob es Ihnen etwas ausmachen würde, den Tisch mit mir zu teilen. Mein Name ist Emily Faringdon...« Sie unterbrach sich und fügte dann übergewissenhaft »Traherne« hinzu. Sie hielt es nicht für notwendig, die Frau über ihren kürzlich erworbenen Titel in Kenntnis zu setzen. Sie war gerade erst seit einem Tag eine Gräfin, und in Wahrheit kam sich Emily absolut nicht wie eine Gräfin vor.
Die hübsche junge Blondine, die nicht viel älter als neunzehn Jahre sein konnte, sah erschrocken auf. Dann zeigte sich in ihren feuchten grünen Augen eine Erleichterung, die sich mit Emilys messen konnte. »Bitte, setzen Sie sich zu mir, Miss Faringdon-Traherne«, bat sie. »Ich wäre Ihnen unendlich dankbar.« Sie sah sich panisch in dem leeren Speisesaal um und fügte dann mit gesenkter Stimme hinzu: »Mein Name ist Celeste Hamilton.«
»Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Hamilton. Reisen Sie nach London?« Emily setzte sich ihrer neuen Freundin gegenüber.
»Nach London? Gütiger Gott, nein«, sprudelte Celeste heraus, und es klang nach einem tiefempfundenen Wehklagen. Sie fing an zu weinen und griff schnell in ihre Tasche, um ein schon zerknülltes Taschentuch herauszuziehen. »Ich wünschte nur, es wäre so. O Miss Faringdon-Traherne, ich fühle mich ja so elend. Ich habe einen furchtbaren Fehler gemacht. Ich fürchte, ich bin auf dem Weg nach Gretna Green.«
Emily war überrascht. »Sie reißen aus, um zu heiraten?«
»Ja.« Celeste schniefte in ihr Taschentuch.
»Aber Sie sind ja ganz allein, Miss Hamilton. Das verstehe ich nicht. Wo ist Ihr zukünftiger Ehemann?«
»Er kümmert sich um die Kutsche und die Pferde. Wir hatten einen Unfall, und ein Rad ist abgegangen. Er wird jeden Moment zurückkommen. Um die Wahrheit zu sagen, ich war sehr froh, daß es zu dem Unfall gekommen ist. Mir war inzwischen klargeworden, daß ich mich in meiner Einschätzung gewaltig geirrt habe. Ich habe in dem Unfall eine Möglichkeit gesehen, aus dieser Situation zu entkommen.«
Emily zog die Stirn in Falten. »Aber daraus ist nichts geworden?«
Celeste schneuzte sich behutsam in das Taschentuch und schüttelte den Kopf. »Nevil sagt, wir werden weiterfahren, sowie das Rad repariert ist, aber wir werden die Grenze erst morgen früh erreichen. Ich werde gezwungen sein, ihn zu heiraten, komme, was wolle, denn mein Ruf ist jetzt schon ruiniert. Was kann ich bloß tun? Ich erkenne jetzt, daß ich ihn wirklich nicht liebe.« Sie seufzte tief. »Um die ganze Wahrheit zu sagen, ich mag ihn nicht einmal mehr besonders gern. Aber ich werde für den Rest meines Lebens an ihn gekettet sein. Er ist nicht der Mann, für den ich ihn gehalten habe. Und meine Eltern werden sich furchtbar verletzt fühlen. O Miss Faringdon-Traherne, ich möchte lieber sterben, als mich dem stellen, was vor mir liegt.«
»Meine liebe Miss Hamilton. Sie haben mein tiefstes Mitgefühl.« Emily streckte die Hand über den Tisch und tätschelte Celeste die Hand. »Ich weiß genau, was Sie durchmachen. Ich verstehe alles, darunter auch, welche Tragödie es ist, den falschen Mann zu heiraten. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ihnen ist es bestimmt, mehr Glück zu haben als ich.«
Celeste blickte mit einem verwirrten Gesichtsausdruck zu ihr auf. »Wie meinen Sie das?«
Emily lächelte beschwichtigend. »Liegt das nicht auf der Hand? Ich bin hier. Sie werden die Nacht mit mir verbringen, und am Morgen werden wir gemeinsam nach London Weiterreisen. Ihre Eltern werden zweifellos recht böse auf Sie sein, aber Ihr Ruf wird intakt bleiben, weil allgemein bekannt sein wird, daß Sie über Nacht eine weibliche Gefährtin bei sich hatten.« Sie beugte sich vor und fügte verschwörerisch hinzu: »Ich bin eigentlich Gräfin, verstehen Sie. Die Gräfin von Blade, was uns unter den gegebenen Umständen von größtem Nutzen sein könnte. Ich werde dieser Situation jede Form von Glaubwürdigkeit verleihen können.«
Celeste blickte verblüfft und voller Erstaunen zu ihr auf. »Es wa-ren Gerüchte im Umlauf, er hätte geheiratet. Sind Sie wirklich die Gräfin von Blade?«
Emily nickte mißmutig. »Ich habe erst gestern geheiratet, aber der Schaden ist schon angerichtet.«
»Gütiger Himmel. Ich bin Blade nie vorgestellt worden, aber ich habe meinen Vater über Ihren Gemahl reden hören. Blade
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