Skelett
eilig«, brummte Marler vor sich hin.
Auf dem Rücksitz des zweiten Landrovers verschlang Paula ihr Sandwich so hastig, als hätte sie seit Tagen nichts mehr gegessen. Tweed schaute auf die Uhr.
»In zehn Minuten sind sie da«, sagte er. »Spätestens.«
»Wen meinen Sie damit?«, fragte Paula.
»Das werden Sie schon sehen.«
Wenige Minuten später rasten zwei Streifenwagen in Richtung M3 an ihnen vorbei. Tweed lächelte grimmig.
»Das waren Buchanans Leute, die er zurückgepfiffen hat. Jetzt können wir los. Marler, wir fahren voraus. Harry soll uns mit dem zweiten Rover folgen. Ich werde Sie lotsen - um Exeter herum wird es ein bisschen kompliziert. Diesmal fahren wir über Moretonhampstead nach Abbey Grange.«
»Nicht über Post Lacey?«, fragte Paula.
»Moretonhampstead ist doch dieser kleine Weiler mit den reetgedeckten alten Häusern, oder?«, sagte Paula.
»Richtig.« Wieder sah Tweed auf die Uhr. »Und jetzt alle in die Autos. Wir brechen auf!«
Es herrschte nur wenig Verkehr, sodass sie in dieser stockdunklen Nacht, in der dichte Wolken den Himmel verdüsterten, zügig vorankamen.
»Jetzt weiß ich wieder, was ich Sie fragen wollte«, sagte Paula, die ein Gähnen unterdrücken musste. »Sie scheinen der Ansicht zu sein, dass alle Armenier verschlagen und hinterhältig sind. Warum eigentlich?«
»Ich meine nicht alle, sondern einige von ihnen«, verbesserte Tweed sie. »Wenn man sich ihre Geschichte vor Augen führt, ist das nur allzu verständlich. Während des Ersten Weltkriegs, in den Jahren 1915 und 1916, haben die Türken einen wahren Völkermord an ihnen verübt. Man schätzt, dass damals etwa eine Million Armenier abgeschlachtet wurden. Wer dieses entsetzliche Massaker überlebt hat, das von der Welt inzwischen weitgehend vergessen ist, der musste hinterlistig und verschlagen werden, um in einer ihm feindlich gesinnten Welt bestehen zu können.«
Tweed sah hinüber und erkannte, dass Paula Mühe hatte, die Augen offen zu halten. Er rollte seinen Regenmantel zusammen und gab ihn Paula. »Hier, nehmen Sie den als Kopfkissen, und schlafen Sie eine Runde. Ich wecke Sie, sobald wir in Abbey Grange ankommen.«
Kaum hatte Paula ihren Kopf auf den Regenmantel gebettet, schlief sie auch schon ein. In einem Albtraum sah sie, wie die gigantischen Steine von Stonehenge auf sie zumarschiert kamen und sie in Grund und Boden stampfen wollten. Schweißgebadet wachte sie auf und schaute aus dem Fenster in die Dunkelheit.
»Wo sind wir?«, fragte sie.
»Schon ziemlich weit hinter Exeter auf der A30. Wir werden jetzt gleich nach links in die Straße nach Moretonhampstead abbiegen. Dann dauert es nicht mehr lange, bis wir auf die direkte Straße nach Abbey Grange kommen. Ich habe Marler angewiesen, ungefähr hundert Meter vor dem Anwesen stehen zu bleiben, damit wir unsere Ankunft vorerst geheim halten.«
Als sie die Ortschaft Moretonhampstead erreichten, schaute Paula aus dem Fenster. Jetzt, am Abend, waren die Geschäfte geschlossen und die Straßen alle menschenleer. Nur in wenigen Fenstern brannte noch Licht.
»Eigentlich ein hübscher Ort«, stellte Paula fest. »Ich mag diese Häuser.«
»Die sind auch wirklich schön«, sagte Tweed, während sie in die Straße nach Abbey Grange einbogen.
Bald hatten sie den Ort hinter sich gelassen und fuhren mitten durch das öde Dartmoor. Die Wolken hatten sich wieder verzogen, und vor ihnen ragte im blassen Mondlicht die kantige Silhouette des Hook Nose Tor auf, die Paula irgendwie an das Profil eines alten Mannes erinnerte. Marler hielt an, und Butler, der die ganze Strecke über hinter ihm gewesen war, tat es ihm gleich. Tweed stieg aus und ging nach hinten zum zweiten Landrover.
»Sie bleiben hier, bis ich wiederkomme«, sagte er zu Butler. »Wenn Sie wollen, können Sie aussteigen und sich die Beine vertreten, aber halten Sie sich fern von Abbey Grange.«
Dann kehrte er wieder zu Paula zurück. Sie war ebenfalls ausgestiegen und wartete auf ihn neben der hohen Mauer, die das Anwesen umgab.
Marler streckte den Kopf aus dem Wagen und sagte leise: »Und ich soll wohl auch hier bleiben, oder? Gut. Bis später also …«
28
»Verdammt still hier«, sagte Paula, als sie sich dem Park näherten. »Kein Mensch zu sehen. Irgendwie unheimlich.«
»So ist das hier nun einmal im Dartmoor«, sagte Tweed und öffnete den rechten Flügel des Tors. »Die Landschaft ist berühmt für ihre Einsamkeit.«
Langsam gingen sie den schmalen Kiesweg entlang, der auf der
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