Skin Deep - Nichts geht tiefer als die erste Liebe (German Edition)
gewalttätig sind und denen man nicht trauen kann. Aber der Junge hier war ganz bestimmt nicht so. »Nein, es war nicht deswegen.«
»Ja, schon klar.« Er lächelte, und meine Nägel gruben sich in meine Handflächen, weil ich wusste, dass er den wahren Grund für mein schnippisches Verhalten kannte.
»Ist deine Familie schon immer rumgereist?«, fragte ich, um von mir abzulenken.
Er schüttelte den Kopf. »Wir sind keine klassischen Nomaden. Mum hat erst nach der Uni damit angefangen. Sie hat zunächst auf der Straße gelebt, dann eine Zeit lang in einem Tipi und schließlich hat sie das Hausboot gekauft. Sie ist eine New-Age-Anhängerin. Damals sind viele von ihnen durch die Gegend gezogen und alle haben zusammen rumgehangen. Aber die meisten haben mittlerweile einen festen Wohnsitz. Jedes Jahr werden wir weniger.«
Ich wusste nicht viel von den New-Age-Nomaden. »Also hat das alles nichts zu tun … äh, mit den Sinti und Roma …?«
»Nein, das ist eine völlig andere Kultur. Sie bleiben bei ihren Leuten und wir bei unseren – oder was davon übrig ist.« Es schien ihm nicht besonders zu gefallen, darüber zu reden, und als er seinen Blick durch die Küche schweifen ließ, hatte ich das Gefühl, dass er versuchte, das Thema zu wechseln. »Die ist echt riesig. Hier kann man sich ja verlaufen. Unsere ist winzig.«
Wieder lächelte er mich an. Lindz hätte gesagt, dass er mit dem nachdenklichen Gesichtsausdruck von eben schärfer aussah, aber mir gefiel das Lächeln besser. Während ich Salbe auf seine Schürfwunden auftrug, saß er ganz ruhig da, und ich betrachtete verstohlen sein Profil. Er hatte kein Modelgesicht wie Steven Carlisle. Dafür war sein Kiefer zu schmal und seine Nasenspitze zu sehr nach oben gerichtet – nicht gerade eine Himmelfahrtsnase, aber den kleinen Schwung konnte man nicht leugnen. Er war auch nicht so kräftig wie Steven, aber er sah einfach göttlich aus.
»Du machst das wirklich gut«, sagte er.
Ich wünschte, er würde aufhören, mich anzulächeln, weil ich mich jedes Mal wie ein Wackelpudding fühlte, dem jemand mit dem Löffel einen Stoß versetzte. Es war ansteckend und brachte mich dazu, zurücklächeln zu wollen. Doch dazu war ich zu schüchtern. »Charlie, mein kleiner Bruder, ist das unfallgefährdetste Geschöpf auf diesem Planeten. Er fällt andauernd von Bäumen oder so was. Wenn Mum nicht zu Hause ist, muss ich ihn verarzten. Mein Dad kann nämlich kein Blut sehen.« Ich klebte das letzte Stück Verband fest. »Erledigt.«
»Super. Danke.« Es holte ein T-Shirt aus seinem Rucksack und zog es über. Ich verdrehte die Augen. »Besser spät als nie. Könnte ja sein, dass dich noch ein durchgeknallter Hund angreift, bevor du zu Hause ankommst.«
Er spielte mit und tat so, als ob er vor Angst zitterte. »Ja, und deiner ist da draußen und wartet nur darauf zuzuschnappen. Ich geh jetzt besser. Mum tickt aus, wenn ich nicht bald zu Hause bin.«
Ich öffnete die Hintertür, und als Raggs hereinschoss, nahm ich ihn auf den Arm. »Danke, dass du nicht sauer warst.«
Er schüttelte den Kopf. »Es war ein Unfall. Vergiss es. Tschüs, Kurzer.« Es tätschelte Raggs den Kopf, hob sein Fahrrad auf und schob es davon. Bevor er um die Hausecke verschwand, winkte er.
Ich schloss die Tür und setzte mich wie betäubt hin. Raggs lag auf meinen Knien. »Okay, er ist ganz anders, als ich erwartet habe.« Raggs leckte mein Kinn. »Er ist … er ist einfach nett. Selbst nach dem, was du angestellt hast, macht er immer noch ein Gewese um dich. Und er hat mich nicht angestarrt. Er hat mich angesehen, als ob bei mir alles ganz normal wäre.« Nur Mum und Dad und Charlie und Beth schafften das und dafür hatten sie eine Weile gebraucht. Na schön, er hat mit mir geredet, wie ich mit Charlie reden würde, und nicht mehr. Aber er hat mit mir
geredet
. Ganz normal.
Es war zu blöd, trotzdem wurde mir innerlich ganz warm. Ich versuchte, das zu unterdrücken, doch es ließ sich einfach nicht abstellen.
12_Ryan
Bill und ich luden eine Lieferung Motoröl vor dem Schuppen ab. Er schnaufte, als er sich nach vorn beugte, um die Kanister aus der Kiste zu holen.
»Lass mich das machen«, bot ich an. »Du klebst die Preisschilder drauf und ich trage sie rüber zum Laden.«
»Danke, Junge.« Er sah auf die Uhr. »Bald ist Feierabend.« Er reckte sich, um seinen verkrampften Rücken zu entspannen, dann stöhnte er plötzlich auf. »Oh, Mann, jetzt gibt’s Ärger.«
Ein Mädchen in Schuluniform
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