Skin Game 02 - Verhängnisvoller Verrat
ein Geist existierte. Als Mia seine Hand nahm, merkte sie, wie er zitterte.
»Glaubst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?«, fragte er mit belegter Stimme. »Ich möchte ihnen neuen Schmerz ersparen. Sie haben getrauert und den Verlust akzeptiert.«
»Aber das hätten sie nicht tun sollen. Du bist am Leben, stehst vor ihrem Haus, siehst deine Mutter hinter dem Fenster. Du hast sie so sehr vermisst, dass du dir einen Ersatz für sie gesucht hast. Sie liebt dich, Søren. Glaub mir, das hier ist das Wunder, das sich jede Mutter eines toten Kindes herbeiwünscht.«
Um sich durch seine Angst nicht von ihrem Entschluss abbringen zu lassen, zog Mia ihn den vereisten Bürgersteig entlang. Ein weihnachtlicher Stechpalmenkranz hing an der roten Haustür. Mia drückte auf die Klingel.
Kurz darauf kam eine pummelige, grauhaarige Frau an die Tür. Ihre Augen waren strahlend blau wie der Himmel an einem Sommertag, und ihr Gesicht voller Lachfalten. Sie sah Mia freundlich und leicht verwundert an. »Ja?«
»Mrs Frost«, sagte diese. »Hier ist jemand, mit dem Sie sprechen sollten.«
»Ich verstehe nicht. Wer sind Sie?« Obwohl sie schon seit Jahren in den Vereinigten Staaten lebte, sprach Sørens Mutter noch mit einem leichten Akzent.
»Dürfen wir hereinkommen?«
Fast eine Stunde lang gingen die Fragen und Antworten hin und her. Es gab einen Moment, in dem Mrs Frost sie aufforderte zu gehen und Mia sich weigerte. Sie war fest entschlossen, diese Familie wieder zusammenzubringen, und gab auch nicht auf, als die Trauer die Frau überwältigte und sie zu weinen anfing. Sie konnte von Glück reden, dass Mrs Frost nicht die Polizei rief.
»Nein«, sagte Sørens Mutter. »Sie sind eine Verrückte. Ich weiß nicht, was Sie sich davon erhoffen, dass Sie mich mit diesem Hochstapler quälen. Mein Sohn ist tot.«
»Wirklich?«
Søren stieß unwillkürlich einen leisen Laut des Protests aus. So angespannt, wie er wirkte, wäre er vermutlich gern aufgesprungen und gegangen. Doch Mia blieb hartnäckig.
»Wenn er mein Sohn ist«, sagte Mrs Frost schließlich, »sollte er wissen, was bei einer Urlaubsfahrt passiert ist, die wir gemacht haben, als er zehn war.«
Mia schaute Søren an, der daraufhin leise zu erzählen begann: »Wir haben einen Ausflug gemacht. Es sollte zum Grand Canyon gehen, aber Grete hat die ganze Zeit herumgejammert, weil ihr schlecht war, und damit alle verrückt gemacht. Am Ende musste sie sich tatsächlich übergeben – direkt nach vorne, meinem Vater in den Nacken – und er fuhr den Wagen in den Straßengraben. Wir sind an dem Tag nicht aus Minnesota rausgekommen.«
Seine Mutter riss die Augen auf, als wäre sie gerade aus einem Albtraum erwacht. »Søren«, flüsterte sie. »Bist du es wirklich? Wir haben keinem etwas davon erzählt, deinem Vater war die Geschichte zu peinlich. Ist es … ist es ein Irrtum gewesen? Hat ein anderer in dem Wagen gesessen?«
Das schien die simpelste Erklärung zu sein, darum nickte er. Daraufhin stand seine Mutter auf und schlang weinend die Arme um ihn. »Jer skidt djœvel«, sagte sie, »warum hast du nicht angerufen? Warum bist du nicht nach Hause gekommen?«
Die verlorenen Jahre ließen sich ohnehin nicht zurückholen, darum sagte Mia: »Er konnte sich erst jetzt wieder erinnern.«
»Ist das wahr? Du warst … nicht ganz richtig im Kopf?«
»Ja«, sagte Søren und legte ganz langsam die Arme um seine Mutter. »Das stimmt. Nach Lexies Tod war ich nicht mehr derselbe. Ich habe so viele Dinge vergessen.«
Als der Name ihrer Enkelin fiel, spiegelte das Gesicht der Frau erneut tiefe Trauer wider, doch sie war zu selig, um das Gefühl richtig zuzulassen. »Dein Vater wird es kaum glauben können, und Elle und Grete werden überglücklich sein. Ich habe gebetet und gebetet. Eine innere Stimme hat mir immer gesagt, dass du nicht wirklich tot bist und eines Tages nach Hause kommen wirst, wenn ich nur fest genug daran glaube.« Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ich habe vorhin gerade einen Apfelstrudel gebacken und frischen Kaffee gemacht. Ihr müsst etwas essen. Kommt.« Sie ließ ihn los und wischte sich über die Augen, dann musterte sie Mia von Kopf bis Fuß. »Ihr beide seid also ein Paar, ja? Da sie dich uns zurückgebracht hat, kann ich nur sagen, dass mich das freut.«
Mit einem ungläubigen Lächeln folgte Søren seiner Mutter in die Küche. Mia ging nicht hinterher, sondern schaute sich mit einem Kloß im Hals im Zimmer um. In einer Ecke stand ein
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